Katerstimmung (German Edition)
Times Square in nichts nach. Auf unserem halbstündigen Weg Richtung Strand preisen uns knapp zwanzig meist asiatische Straßenhändler ihr standardisiertes Sortiment mit dem immer gleichen Spruch an: «Beer? Cerveza? Coca-Cola? Fanta? Massage? Gulu Gulu? Hasch Hasch?» Ich stelle mir vor, Glatzen-Yul würde hier mal im lila Hemd vorbeiwerbern.
«Aber Wasim, wo ist dein USP? Deine Unique Selling Proposition? Dein Alleinstellungsmerkmal?»
«What?»
«Willst du eher über Qualität gehen oder …»
«Yes, best quality! Best quality!»
«Dann strebst du also eher über eine Präferenzstrategie die Qualitätsführerschaft an als über eine Preis-Mengen-Strategie Cost Leadership?»
«No, no, does not cost. Cheap, cheap! Really good price! Beer one euro!»
«Ja, aber Wasim, wäre es dann nicht sinnvoll, die Bereiche Erfrischungsgetränke, Dienstleistungen und Drogen als separate strategische Geschäftseinheiten zu organisieren, um auf der Grundlage kaufrelevanter Verhaltensmerkmale Preispräferenzen der Kundengruppen zu analysieren und gegebenenfalls den Absatz kurzfristig anzukurbeln durch Sales Promotion wie Two-for-one-Aktionen, um dadurch langfristig psychographische Größen …»
«Okay, okay, I give you two beers for one euro!»
«Gut, reden wir über etwas anderes. Kann man ein homogenes Gut wie Gulu Gulu eventuell differenzieren? Kann man durch Co-Branding oder Ingredient Branding Mehrkompetenz nutzen? Und was ist eigentlich Gulu Gulu?»
Nach einer halben Stunde am Strand haben wir immerhin einen jungen Mann gefunden, der auf seinem Kopf ein Tablett mit Backwaren balanciert. Er nennt sich «Bambolino» und sprintet in seiner kurzen Badehose von einer Gruppe attraktiver Touristinnen zur nächsten. Zwar haben die wenigsten bei 32 Grad Lust auf Gebäck, aber innerlich höre ich Glatzen-Yul jauchzen:
«Hervorragend! Durch außergewöhnliche Präsentationsformen aktivierende Prozesse auslösen! Und dann dieser Name: Die Exotik von Bambus, die Heiterkeit der runden O-Vokale, die Spritzigkeit der lino-Endung – da steckt alles drin. Ist die Domain schon gesichert?»
Ich probiere einen der runden Krapfen und huste das völlig vertrocknete Zeug fast wieder aus. Egal, ich will den Kerl ja nicht für meine Konditorei, sondern für einen 1:30-Newsbeitrag. Wenn man lange genug sucht, findet man bestimmt noch ein paar andere Kasper, die hier auf ungewöhnliche Art ihren Lebensunterhalt verdienen. Mein erster Themenvorschlag steht: «Arbeiten, wo andere Urlaub machen – die verrücktesten Strandjobs des Sommers.»
Um meine zweite Story muss ich mich nicht mal selbst kümmern. Wir sitzen gerade auf einer Bank an der Promenade, als eine dickverpackte Seniorin freudestrahlend auf uns zukommt. Sie sei ja so froh, endlich jemanden aus der Heimat zu treffen, sagt sie. Hier könne ja niemand anständig Deutsch. Klar, kein Vergleich zum perfekten Spanisch, das man am Strand von Cuxhaven allenthalben hört. Ich verdrücke es mir. Und dann fragt sie, ob uns das denn auch so störe mit diesen ganzen Nacktjoggern. Mein investigativer Spürsinn ist geweckt. Belästigen Exhibitionisten mit baumelnden Bambolinos deutsche Urlauberinnen? Plötzlich finde ich es obszön, dass mein imaginärer Glatzen-Yul eben von der Spritzigkeit der lino-Endung sprach.
Als ich erzähle, für wen ich arbeite, kennt unsere Freundin fester Kleidung kein Halten mehr. Man muss den ganzen Imagebastlern, Programmplanern und Trailertonis eines lassen: Sie haben es geschafft, dass sich der größte Privatsender des Landes im Wahrnehmungsraum vieler Deutscher zwischen Mama, Polizei, Anwalt und Paritätischem Wohlfahrtsverband eingenistet hat. Die Freundin ist abgehauen? Einfach mal energisch vom mittäglichen Magazin fordern, dass die sie und/oder den gemeinsamen Hund zurückholen. In der Nudelpackung sind statt 500 Gramm nur 488? E-Mail an die Zuschauerredaktion mit Foto des Kassenzettels und Waagendisplays. Aus Versehen ’ne Oma unter die Kühlerhaube bekommen? Telefonisch beim Sender nachfragen, wie Erste Hilfe geht. Und ob man auch für Mpeg-Videos Geld bekommt.
Unsere Rentnerin poltert, dass sie selbstverständlich bereit sei, die Geschichte auch vor der Kamera zu erzählen. Sie sei ja eine anständige Bürgerin und wolle nur für ein bisschen Ordnung sorgen. Sie begrüße es, wenn das Fernsehen endlich auch einmal über richtige Probleme berichtete. Lenny erkundigt sich, ob es denn wirklich nur männliche Läufer seien, was zu seinem
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