Katerstimmung (German Edition)
Tomaten längst von unten an. Sie sagt, der sei seit fünf Jahren tot.»
Mit einem langgestreckten «Waaaas?» versuche ich meine vorgetäuschte Überraschung auszudrücken.
«Ich dachte ja nur, vielleicht gehört es zu deiner geheimen Mission, Tote zum Leben zu erwecken.»
«Ja, äh, nee, äh, weswegen ich anrufe: Ich bin hier auf einige super interessante Themen gestoßen, die vielleicht was für die News wären.» Klaus antwortet erst einmal nicht. «Ich hatte da zum einen an so was in Richtung ‹Arbeiten, wo andere Urlaub machen – die verrücktesten Strandjobs des Sommers› gedacht. Weil hier echt schräge Typen …»
«Never. Wir hatten gestern schon die peinlichsten Nebenjobs der Welt drin, das reicht erst mal. Hast du die Sendung nicht gesehen?»
«Ja, nee, da gab es verschiedentlich technische …»
«Noch was?»
«Ja. Und das ist wirklich eine krasse Geschichte. In Barcelona laufen mittlerweile überall Nacktjogger rum.» Keine Reaktion. «Sicher so 40 bis 50 am Tag. Und da gibt’s hier massiv Protest dagegen. Wir haben auch deutsche Interviewpartner gefunden.»
«Wer sind wir und was macht ihr in Barcelona?», fragt Klaus irritiert.
«Ja ich und ein … anderer … investigativer Journalist, der … auch wegen dieser großen Geschichte, von der ich dir ja …»
«Anyways, das brauchen wir auch nicht. Mit nackten Leuten vor 22 Uhr müssen wir aufpassen. Wir haben schon genug Stress mit der Landesmedienanstalt. Sonst noch was? Oder darf ich dich morgen wieder hier begrüßen?» Scheiße. Die Kratzbürste ist auf Krawall gebürstet. Was hab ich denn noch?
«Da gibt’s noch so eine andere Geschichte.»
«Ja?»
«Eine … eine Schulklasse. Von einem Mädcheninternat. Da hat eine Krebs. Und jetzt wollen die anderen der die Herz-OP bezahlen, weil die sehr teuer …»
«Die hat Herzkrebs?»
«Was? Äh, ja. Das ist ganz selten und ganz, ganz schwierig da … jedenfalls haben die erst so einen Nacktkalender gemach…»
«Schon wieder Nackte?»
«Gemacht haben wollen. Haben die dann doch nicht. Wegen … Protesten. Und dann haben die sich überlegt, Cheerleader zu werden beim Basketballteam vom FC Barcelona. Und da sind die jetzt so beliebt, dass man die gar nicht gehen lassen will, obwohl die das Geld für die OP längst zusammenhaben.»
Stille. Komm schon, Klaus. Erzähl mir nicht, dass bemalte Klodeckel mehr Newscharakter haben.
«Okay, das ist echt eine gute Geschichte.» Ich bin selbst ein wenig überrascht, wie meine blühende Phantasie doch noch den Nachrichtenfrühling hervorgelockt hat.
«Aber so was Ähnliches hatten wir letzte Woche mit den Omis, die für die Gruppenreise nach Lourdes gestrippt haben.»
«Ja, da sehe ich jetzt aber den Zusammenhang noch nicht so …»
«Außerdem ist das schwierig, wenn die noch nicht volljährig sind. Im Ausland ist das mit den Einverständniserklärungen der Eltern komplizierter. Setz dich in den Flieger und komm her.»
«Das kann ich nicht», antworte ich reflexartig. Ich bin so kurz vor meinem Ziel. Wenn ich jetzt zurück nach Deutschland gehe, würde ich mir das mein Leben lang nicht verzeihen.
«Max, wir sind hier nicht im Dschungelcamp. Das ist keine Prüfung, die du annehmen oder ablehnen kannst. Wenn ich sage, dass du morgen kommst, dann kommst du morgen. Sonst kannst du dir gleich einen neuen Job als Cheerleader in Barcelona suchen.»
Mit leiser und gepresster Stimme setze ich noch einmal alles auf eine Karte: «Klaus, ich hab es dir doch schon gestern gesagt. Ich bin hier an einer richtig großen Geschichte dran.»
«Ja, ich weiß, und der Express auch. Blabla. Alles, was die über Spanien in den letzten drei Tagen im Blatt hatten, war die Meldung über einen trotteligen Tomatinareporter.» Mist. Wenn die wüssten, dass das ihr eigener Mann ist.
«Morgen.»
«Was?»
«Morgen beginnt der Express mit der Enthüllung.» Ich bin nervlich am Ende wie ein italienischer Pizzabäcker, der bei der Mafia um die Aufschiebung der Schutzgeldfrist bittet. Wohl wissend, dass sich bis morgen nichts verändern wird. Godfather sei Dank raunt mein schwuler Pate nicht: «Irgendwann, möglicherweise aber auch nie, werde ich dich bitten, mir eine kleine Gefälligkeit zu erweisen.» Stattdessen kratzt Klaus zum Abschied:
«Wenn morgen nichts im Express ist, bist du weg.»
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Morz Feetz
Ich starre auf die Schließfächer vor mir und würde mich gerne selbst in einen Loser-Spind sperren. Für immer. Wenigstens besser, als
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