Katerstimmung (German Edition)
mit Betonklötzen an den Füßen im Rhein gefunden zu werden.
In der Hostelcafeteria trinke ich einen Kaffee und mache mir existenzielle Gedanken. Ich bin in einer verdammten Zwickmühle. Die Philosophen mögen es anders nennen, für mich es ist das Von-der-Lippe-Theorem. Geld oder Liebe? Wenn ich in Spanien bleibe, verliere ich meinen Job. Wenn ich nach Köln fliege, verliere ich Ana. Wobei ich die nicht mal sicher habe. Den Job schon. Dafür ist sie wesentlich attraktiver. Aber noch mal was abbrechen geht auch nicht, und nach dem Volo im Sender bekomme ich vermutlich auch einen besseren Job. Ich kann mich nicht entscheiden. Es ist eine dieser Situationen, in denen man einfach «BEIDES!» schreien möchte. Pommes oder Farmkartoffeln? Frei-SMS oder Inklusivminuten? Geld oder Liebe?
Es gibt Dinge, die sich einfach nicht miteinander kombinieren lassen. Mit den Jungs weggehen und die Freundin mitnehmen. Lederschuhe und Tennissocken. Schmidt und Pocher.
Ich setze mich auf ein abgewetztes Sofa und lasse Ana und Klaus gedanklich um die Entscheidung spielen. Schnick-Schnack-Schnuck bis 100. Eine Schere im Kopf haben bekommt auf einmal eine völlig neue Bedeutung.
Es steht gerade 18:12 für Klaus, als der Express vor meinem geistigen Auge vorbeifährt. Mit dem würde ich vielleicht meine beiden Ziele erreichen. Ich müsste nur irgendwie auf den fahrenden Zug springen. Man bräuchte ein verdammt gutes Trampolin, ein kleines offenes Fenster und jede Menge Glück.
Aber womit soll ich es versuchen? Mit Nacktjoggern oder Cheerleadern könnte man das schaffen, aber das ist nicht die große Story, die Klaus von mir erwartet. Ich hatte ihm Drogen, Macht und Missbrauch angekündigt. Drogen passen ja schon mal ganz gut zu dem ganzen Klimbim, der hier in den Zeitungen um die Südamerika-Connection gemacht wird. Man müsste nur noch einen Deutschlandbezug hinbekommen. Und was Emotionales. Am besten sind natürlich Kinder. Deutsche Kinder. Aber was haben die mit … Moment! Auf einmal wird in meinem Kopf nicht mehr Schere, Stein, Papier gespielt, sondern wild gepuzzelt.
Spanien befürchtet, Drogenumschlagplatz für ganz Europa zu sein. Das heißt, das Zeug wird von hier irgendwie weitergeschmuggelt. Bärtige Muchachos mit «I ♥ Escobar»-Shirtaufdruck sind dafür grenztechnisch wahrscheinlich eher ungeeignet. Anders als unsere Touristenteenies, die in Reisebussen an die Costa Brava verfrachtet werden und keine Grenzkontrollen zu befürchten haben. Drogendealer schieben Jugendlichen in den Partyorten an der spanischen Küste Ware unter und lassen sie bei der Ankunft in Deutschland dann von ihren Kontaktleuten in Empfang nehmen. Mächtige Drogenbosse missbrauchen deutsche Kinder für ihre üblen Geschäfte. Da ist alles drin! Drogen, Macht und Missbrauch. Kinder und Deutschland. Weinende Mütter bekommen wir bestimmt auch noch hin!
Ich stürme die Treppe zu unserem Zimmer hoch und platze mitten in Lennys und Wilhelms verspätete Siesta. Im ersten Moment sind sie nicht wirklich angetan von meinem Plan. Ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte? Geschichten erfinden solle man Dan Brown und Angeklagten im Untersuchungsausschuss überlassen. Und ob mir klar sei, dass Nachrichten eher nach dem Prinzip «So isses» funktionieren als nach «Witzig wär, wenn»? Ich lade zu einer kurzen Redaktionssitzung in einer halben Stunde in die Hostelcafeteria. Lenny stellt sich den Wecker.
Ich nutze die Zeit, um mich auf den heutigen Abend einzustellen. Bevor ich mich in den Waschraum verdrücke, erwühle ich im Kabelsalat in Lennys Survival-Kit 3000 Rasierset und Parfüm. Kurz frage ich mich, seit wann Apple schwarze Ladekabel herstellt. Aber vermutlich hat Lennys Kaffeemaschine in Köln die Farbe per Funk der Hängemodulfarbe im heimischen Wohnzimmer angepasst.
Der Spiegel ist heute nicht so fies wie in den letzten Tagen. Eigentlich sehe ich wieder recht human aus. Der Dreierpack weiße Hemden vorhin war keine schlechte Idee. Auch wenn Wilhelm sich vollkommen over- und Lenny vollkommen underdressed fühlt. Ich bin zufrieden. Damit wird man nicht aus der Masse stechen, aber es ist solide. Und es sieht irgendwie nach Urlaub aus, ohne nach Jürgen von der Lippe auszusehen. Mit einem romantischen Strandspaziergang ist es 100 Prozent kompatibel. Und das ist das Ziel. Ich rasiere mich nur ein ganz kleines bisschen, um mir durch einen 2½-Tage-Bart eine gewisse Lässigkeit zu bewahren. Dann beschäftige ich mich mit der Frage, ob das Offenlassen des
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