Katerstimmung (German Edition)
zweitobersten Hemdknopfes cool oder asi ist. Beim Anblick meiner schneeweißen Hühnerbrust wird die Frage irrelevant.
Ob Ana gerade auch schon vor dem Spiegel steht und überlegt, was mir gefallen könnte? Ich kann es mir irgendwie nicht vorstellen. Warum mache ich das eigentlich? Normalerweise denke ich keine fünf Minuten darüber nach, was ich anziehe oder wie ich mein Hemd trage. Aber normalerweise hat man ja auch nicht solche Jetzt-oder-nie-Treffen.
Und was mache ich eigentlich, wenn alles nach Plan läuft? Wenn wir bis zum Sonnenaufgang am Strand liegen und uns küssen, bis unsere abgenutzten Lippen nicht mehr können? Wenn ich mich in ihren Busen kuschele und sie mir ins Ohr haucht, dass dieser Moment nie enden darf? Zettel ich dann einen Weltkrieg in Spanien an und bleibe vier Jahre als Korrespondent in Barcelona? Könnte um einiges schwieriger werden als die Drogenteenie-Geschichte. Wenn die wirklich nicht mehr nach Deutschland zurückkommt, dann hat das Ganze hier so viel Zukunft wie eine Beziehung von Lothar Matthäus.
Und doch ist es mir egal. Ich will die wiedersehen und Punkt. Jede Minute mit ihr ist ein Hundejahr für mich. Wenn ich nur eine Nacht mit der am Strand tolle, komme ich als weiser Mann zurück in die Heimat und kann beruhigt sterben, da ich im Leben alles erreicht habe. Manchmal muss man eben doch in die Ferne schweifen, damit das Gute so nah liegt. Der Typ im Spiegel zwinkert mir zu, zeigt mit beiden Zeigefingern auf mich und sagt: «Jetzt oder nie.»
Auch nach einer halben Stunde Schlaf halten Lenny und Wilhelm meine Idee für ziemlich verrückt. Aber bei dem Quatsch, den wir in den letzten Tagen gemacht haben, kommt es auf eine weitere Absurdität auch nicht mehr an. Ich erzähle ihnen, dass ich für den Anfang einfach einen deutschen Jugendlichen brauche, bei dem Marihuana gefunden wurde. Wilhelm schlägt vor, bei der nächsten Polizeistation zu warten. Wenn auch nur zehn Käufer auf jeden «Hasch-Hasch?»-Rufer kommen, läuft hier eine mittlere Kleinstadt mit Drogen durch die Straßen. Da wird die Polizei hoffentlich auch mal einen Deutschen rausziehen. Ich suche mir die Nummer der Express -Redaktion im Internet, werde zu meinem Alter Ego Karl Säuler und lasse mich zum stellvertretenden Chefredakteur durchstellen. Er findet die Geschichte interessant. Auch wenn es ihn wundert, dass man davon noch nie gehört hat.
«Ja, die machen das wirklich geschickt. Aber wir sollten uns beeilen. Ich habe gehört, die Privaten haben auch schon Leute drangesetzt.»
Er meint, dass es für die Printausgabe vor Redaktionsschluss ohnehin nichts wird, er den Text aber gegebenenfalls morgen früh auf die Onlineseite stellen würde. An einem Tag wie diesem geht mir schon bei einem «Gegebenenfalls» das Herz auf. Erinnert mich an den durchgeknallten Typen, der neulich im Duden-Forum geschrieben hat, dass er persönlich das Wort «Wertebewusstsein» liebt. «Dieses Wort gibt mir so unendlich viel.» Ich werde bei nächster Gelegenheit posten, dass mich «gegebenenfalls» aus einer schweren beruflichen wie privaten Krise geholt hat und ich dieses Wort gerne adoptieren würde, sofern mir das deutsche Beamtentum, seine leibliche Mutter, das Sorgerecht überträgt.
Nachdem uns selbst in der Straße des Kommissariats zweimal «Hasch Hasch» angeboten wird, zweifele ich schon wieder, wie ernst man dort den Kampf gegen kleinere Drogendelikte nimmt. Wilhelm versucht einem Polzisten zu erklären, dass wir für eine Nachrichtensendung auf der Suche nach deutschen Drogensündern sind. Klingt gelogen, aber die News sind irgendwo schon auch eine Nachrichtensendung. Der Beamte, der aussieht wie die schwarzhaarige Latino-Version von Owen Wilson, grinst freundlich und macht uns allen Kaffee. Mir wäre lieber, er würde schnell eine Minirazzia vor der Haustür machen, doch dann würde den anderen im Hinterzimmer wohl der vierte Mann für Doppelkopf fehlen.
Wir setzen uns auf eine unbequeme Bank und warten. Eine zartgrüngrau gestrichene Wand fesselt unsere Aufmerksamkeit. Sie hat es nicht sehr schwer, da keine Bilder oder sonstiger Wandschmuck von ihr ablenken. Ihre ungeschmückte Wucht möchte einen fast sagen lassen: Sie steht wie eine Wand vor uns. Aber dass eine Wand wie eine Wand steht, klingt irgendwie bescheuert. Neulich hat ein Radiomoderator bei einem «Was bin ich?»-Rätsel den Tipp «Mich gibt es wie Sand am Meer» gegeben. 19 Hinweise später kam raus: Der gesuchte Begriff war Sand. Wenn der Kerl in
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