Katerstimmung (German Edition)
dem Moment in meiner Reichweite gewesen wäre – meine Faust hätte auf sein Auge gepasst wie die Faust aufs Auge.
Eine Uhr und ein mit Tesa befestigter DIN-A4-Ausdruck leisten etwas Widerstand gegen die Allmachtsphantasien der zartgrüngrauen Ekelfarbe. Die Uhr schafft es problemlos, sich mir mitzuteilen: Es ist zehn, und ich muss mich beeilen, wenn dieser Abend noch im Sand am Meer enden soll. Mit dem Zettel klappt die Kommunikation nicht so gut. «Sientese y espere hasta que le llamemos.» Ich habe keine Ahnung, was das bedeutet, aber vermutlich ist es einer dieser pfiffigen Bürosprüche à la «Lieber dreimal kopieren als einmal kapieren» oder «Lieber Feste feiern als feste arbeiten». Solche Weisheiten waren maximal während ihrer ersten Lebensjahre unterhaltsam, doch auch als Tattergreise hängen sie noch verlässlich in fast jeder Arbeitsstätte. Ich fand sie eigentlich immer langweilig. Bis zu dem Tag, als ich auf einer Polizeiwache drei Stunden und vier Beamte gebraucht habe, um den Diebstahl eines 20-Euro-Fahrrads zu melden, und mich die ganze Zeit der Spruch «Stress ist alles, was nicht Kaffeepause ist» von der Korkpinnwand aus verhöhnte. Seither hasse ich sie.
Nach einigen Minuten klopfe ich zaghaft an die Tür, durch die unser Kontaktmann verschwunden ist. Wenig später kommt Latino-Owen heraus und zeigt nicht mehr ganz so freundlich auf das Schild. Er hat noch immer den Kaffee in der Hand. Haben die auf deutschen und spanischen Polizeirevieren wohl wirklich die gleichen Sprüche? Ob das eine EU-Verordnung ist? Eine selbstironische Imagekampagne der europäischen Polizeigewerkschaft?
«Max, du sollst sitzen bleiben, bis wir aufgerufen werden», verrät Wilhelm. Ah, oder so. Ist auch wirklich kein Wort in dem Satz, das nach «Kaffeepause» aussieht. Der Kaffee-Cop hat dennoch ein Einsehen und trabt mit uns einen Gang weiter, wo die identische Wand mit der identischen unbequemen Sitzbank und dem identischen Hinweisschild auf uns warten. «Ah, Corporate Design», möchte ich einwerfen. Aber dann würde er einem von uns Weißhemden wahrscheinlich seinen Kaffee über den Ranzen kippen und «You no longer Corporate Design» lachen. Und ich weiß auch schon, wem.
Er zeigt auf eine nervös fächernde Frau in einem fliederfarbenen Kleid mit Blumenmotiven, vielleicht Flieder, und sagt: «Alemana.» Ein Kopf unter Sonnenhut samt Gesicht unter Schminke schaut zu uns herauf.
«Send ir fei au aus Deitschland? I bed’Geli.»
Tanja, Schlumpkönig, Feierbiester, Nackthasser-Oma, Geli. Hätte uns unsere Exkursion nach Köln-Kalk geführt – wir hätten in den drei Tagen nicht mehr Deutsche getroffen.
«Do hauds de doch vo de Soga, etz hand di mir midda uf dr Schdros d’Handäscha gschdola ond i mess etz drei schlagene Schtond vor dera gre agschtrichana Wand sita. Do kendsch zom HB-Männle wera.»
Lenny, Wilhelm, Latino-Owen und ich schauen uns fragend an. Diese Sprache beherrscht niemand von uns. Geli scheint das zu merken und versucht es mit einer Fremdsprache, die sie damals in der Schule gelernt hat. Hochdeutsch. Liegt aber schon so lange zurück, dass es etwas holprig klingt. Und die Schwaben haben ja inzwischen bescheiden eingeräumt, alles zu können, nur das nicht. Dennoch schafft sie es, uns ihr Dilemma zu schildern: Ihre Handtasche wurde vor zwei Stunden auf den Ramblas geklaut, als sie gerade ein Foto von einem blau geschminkten Avatar-Pantomimen machen wollte. Seither sitzt sie hier auf der Wache und wartet vergeblich darauf, endlich angehört zu werden. Dabei könnte man schon längst eine Fahndung einleiten, schließlich hat sie den Täter auf ihrer Digitalspiegelreflex-Kamera festgehalten. Immer wieder zeigt sie dabei auf den monströsen Fotoapparat neben sich, damit auch der Polizist ihr Anliegen versteht. Aber Kommissar Doppelkopf schlurft kommentarlos zurück in die Kaffeepause. Mir wird klar, dass er uns nur deshalb zu ihr gebracht hat, damit wir uns als Leidensgenossen gegenseitig das Maul über die spanische Gelassenheit zerreißen können. Statt ständig ihn und seine Kollegen zu stören. Und ich dachte schon, die hätten unsere Mittfünfzigerin mit «I brauch dringend was, wo korrekt turnt» bei Wasim erwischt.
«Wie lang bleibet ihr no hier in Barça?»
«Das hängt ein bisschen davon ab, wie viele deutsche Jugendliche heute Lust auf Drogen haben.» Geli glotzt Lenny verschreckt an, der ihr zu allem Überfluss auch noch zuzwinkert.
«Also jetzt nicht in dem Sinne. Was er meint,
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