Katerstimmung (German Edition)
Sekundenzeigern?
Ich klopfe noch mal und erkläre dem Castingteam, dass wir das Anforderungsprofil der Bewerber auf «berauscht» drücken können. Einer komatösen Alkoholleiche kann man bestimmt einreden, sie habe auch noch Marihuana untergeschoben bekommen. Nach dem Motto «Hart in der Sache, aber hart im Ton» schicken mich die Beamten zurück auf die Strafbank. In so einem Moment wäre ich wieder gerne ein Actionrebell, der seinen Fuß in die Tür stellt und mit ruhiger, aber bestimmter Stimme sagt:
«Wissen Sie überhaupt, mit wem Sie hier sprechen? Ich habe zwei Attentate des Schlumpkönigs und den Kessel von Buñol überlebt. Also setzen Sie Ihren gottverdammten Arsch in Bewegung und schnappen Sie den Typen!»
Das führt in Hollywoodfilmen zu einem Großeinsatz aller verfügbaren Einheiten. In der Realität zu 100 Euro wegen «Beleidigung zum Nachteil von Polizeibeamten».
Und doch müssen wir irgendwie aktiv werden. In der ganzen Stadt laufen Dealer frei herum, und uns lässt man hier die Wand anstarren. Außerdem erinnert mich mein Rücken mit sanften Reminder-Schmerzen daran, dass ich ihm gestern versichert habe, seine Warnsignale ernst zu nehmen. Ich verspreche ihm als Entschädigung morgen eine Gulu-Gulu-Massage am Strand.
Dann kommt tatsächlich ein Polizist über den Gang und bittet Geli, ihm zu folgen. Ich denke: «Endlich Ruhe», sage aber: «Mürb dem Schellenschließer die Biege um.» Sie schaut hilflos, und ich übersetze aus meiner Outer-Space-Sprache in ihre Out-Sprache: «Gib ihm Saures.»
Geli und ihr Begleiter werden gerade vom Fahrstuhl verschluckt, als mein Blick auf den nun freien Platz neben mir fällt. Oh nein.
Eigentlich bin ich ein guter Mensch. Jetzt kein Engel mit Helfersyndrom, aber so eine 2–3 mit Luft nach oben würde ich mir schon ins Halbjahreszeugnis schreiben. Mehr Obama als Osama, mehr Gandhi als Gaddafi. Ich trenne meinen Müll, spende in unregelmäßigen Abständen Geld an Unicef und überhole nicht auf dem Standstreifen. Wenn Kinder dabei sind, gehe ich nicht über rote Ampeln – außer sie gehen zuerst. Aber selbst dann rufe ich ihnen, wenn ich auf gleicher Höhe bin, «Mach das nicht noch mal! Es ist rot!» zu. Außerdem bin ich ziemlich friedliebend. Zumindest hält mich eine Mischung aus Moral und Chancenlosigkeit von ernsten Prügeleien ab. Und anders als Lenny google ich auf langweiligen Zugfahrten nicht die Krimis meiner Mitreisenden, um ihnen dann den Mörder zu verraten.
Aber neben mir liegt genau das, was wir bräuchten, um endlich selbst auf die Jagd nach einem deutschen Nachwuchskiffer zu gehen. Gelis High-End-Kamera. Sie hat sie vergessen. Statt Standard-Polizeifotos oder verwackelten iPhone-Bildern könnten wir dem Express druckbare Bilder des auf frischer Tat Ertappten liefern. Karl Säuler, der rasende Reporter, darf sich so eine Chance nicht entgehen lassen.
«Jungs, das macht hier keinen Sinn. Wir müssen das selbst in die Hand nehmen.»
Wilhelm merkt, wie meine beschwörenden Augen das schwarze Gehäuse überreden wollen, zu uns überzulaufen.
«Max, lass das. Das ist eine herzensgute Frau!»
«Die sagt ‹Feetz› und ‹lockerflockig›!»
«Aber deswegen kannst du ihr doch nicht die Kamera klauen!»
«Besondere Situationen erfordern eben besondere Maßnahmen. Meinst du, ’89 in Prag ist einer zu Genscher gekommen und hat ihn darauf hingewiesen, dass der Balkon im ersten Stock eigentlich Botschaftsmitarbeitern vorbehalten ist? Hat der Mann im Mond vor Neil Armstrongs Ankunft ein Schild aufgestellt mit ‹Nur in Moonboots mit heller, nicht abfärbender Sohle betreten›?»
«Du solltest dir überlegen, ob du auch bei deiner Festnahme mit dem Mann im Mond argumentieren möchtest.»
«Du solltest mehr Schimanski gucken!», sage ich, nehme die Kamera und laufe mit für Mensch und Menschheit großen Schritten in die dem Fahrstuhl entgegengesetzte Richtung. Wenn Lenny und Wilhelm bei Gelis baldiger Rückkehr nicht in arge Erklärungsnot kommen wollen, werden sie mir folgen müssen.
Im Treppenhaus muss ich Wilhelm noch hoch und heilig versprechen, die Kamera nach getaner Arbeit zurückzubringen. Sobald wir das Gebäude verlassen haben, sind wir in Sicherheit. Nach den Erfahrungen der letzten Stunden steht eines fest: Vor einer polizeilichen Verfolgung müssen wir keine Angst haben.
Schon nach kurzer Suche finden wir einen mittelgroßen Platz, der für die Reiseführer-Touristen wohl «ein von prachtvollen Fassaden gesäumtes Kleinod
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