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Katerstimmung (German Edition)

Katerstimmung (German Edition)

Titel: Katerstimmung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Reinartz
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mit unvergleichlichem Ambiente» ist. Für uns ist es vor allem ein Warenumschlagplatz mit vielen Marktteilnehmern. Besonders der Handel mit Dosenbier und Cola scheint zu florieren, aber auch Nischenprodukte finden ihre Abnehmer. An einer Ecke kauft ein Familienvater seinem Sohn sogar den ansonsten hartnäckigsten Bauchladenhüter überhaupt: ein glibbriges Neon-Strichmännchen, das sich von Häuserwänden herunterhangeln kann und das inzwischen sogar in deutschen Fußgängerzonen trainiert. An der frechen Frisur des Sprösslings lässt sich ablesen, dass es nicht mehr lange dauert, bis er das Dosenbier bevorzugen wird.
    Und natürlich machen wir auch schnell die für uns interessanten Rohstoffhändler aus. Wenn wir richtig gezählt haben, sind es drei, die wir aus sicherer Entfernung beobachten. Die nervöse 360-Grad-Umfeldüberwachung des klassischen TV-Dealers, eng verwandt mit dem Türsteherblick, haben die hier nicht nötig. Wahrscheinlich müssen sie dafür nur einmal im Monat die Kaffeekasse auf dem Revier füllen.
    Bleibt das Problem, deutsche Jugendliche an ihrem Äußeren zu erkennen. Bei Erwachsenen ist es dank Wanderrucksack und besockten Sandalen ja noch halbwegs möglich, aber diese globalisierte Einheitsgeneration macht es einem nicht leicht. Die Geschäftslandschaften aller Großstädte scheinen mittlerweile von einem globalen Bepflanzungsplan gestaltet zu werden. In einer Feldstudie habe ich herausgefunden, dass dieser geheime Leitfaden beispielsweise einen Maximalabstand von 50 Metern zwischen einem Levi’s - und einem Pepe-Jeans -Laden vorschreibt. Ähnliche Richtwerte gibt es auch für H&M , Zara , Footlocker und Esprit . In der Folge unterscheiden sich Einkaufsstraßen inzwischen von Land zu Land so sehr wie der Big Mac. Wir können nur raten.
    Die erste Gruppe, von der sich eine kleine Gesandtschaft zum Hasch-Hasch-Händler aufmacht, scheidet aus. Der Hautfarbe nach können die nur aus England oder Weißrussland stammen. Selbst wenn die aus Kiel kämen, gäbe es ein bis zwei, die farblich aus der Hauttyp-1-Masse hervorstechen würden.
    Kurz darauf nehmen wir bei zwei blonden Lockenköpfen schon fast die Verfolgung auf, sehen dann aber, dass einer ein verwaschenes Frank-Rijkaard-Trikot anhat. Das können auch keine Deutschen sein. Seit 1990 rangiert der Spuckholländer auf der Liste der unbeliebtesten Ausländer irgendwo zwischen Stalin und dem Vater von Michel aus Lönneberga. Wenn man damit erwischt wird, zeigt einen Rudi Völler vermutlich wegen Landesverrats an.
    Doch einige Minuten später schleicht sich ein junger Typ mit Baseball-Cap zu einem der Lungenausstatter. Rein äußerlich spricht nichts gegen eine deutsche Staatsangehörigkeit. Da die Verhandlung mehrere Minuten dauert, erhärtet sich unser Verdacht. Der hat wahrscheinlich in zahlreichen Familienurlauben die deutsche Maxime gelernt, dass man Straßenhändlern nie trauen darf, sie immer um die Hälfte runterhandeln muss und auf ein 14-Tage-Rückgaberecht bestehen sollte.
    Ich gebe den Jungs ein Zeichen und Lenny die Kamera, dann pirschen wir uns langsam heran. Wir sind nur wenige Meter entfernt, als der Deal gerade abgeschlossen ist. Ich kann Lenny davon abhalten, zwei Flyer verteilende glitzernde Miniröcke zu fotografieren, und wir nehmen die Verfolgung auf. In einer engen Seitenstraße erhöhen wir das Tempo. Vor den Ramblas sollten wir ihn stellen.
    «Hey!», rufe ich, und der Kerl bleibt tatsächlich stehen und dreht sich um. «Du bist aus Deutschland, oder?»
    Pause.
    «Ja.»
    Yes! Ich sehe mich schon gegebenenfalls auf der Titelseite des Express . Oder besser gesagt ihn.
    «Was hast du da in der Tasche?»
    «Was willst du?»
    Ich schaue Lenny an, der schnell schaltet und eine flotte Zehner-Fotoserie startet.
    «Ey, lass das, du Penner! Was wollt ihr von mir?»
    Die letzten Worte schreit er schon fast, wobei man bei den hohen Tönen merkt, dass der Stimmbruch noch nicht nahtlos verheilt ist.
    «Wir sind Journalisten», sage ich so kalt, als würde ich uns als Auftragskiller vorstellen. «Wir berichten über die zunehmende Drogenkriminalität, und wir wissen, dass du da Marihuana in der Tasche hast.»
    Der Mützenjunge schweigt erst, dann schaut er zu Boden. Der wird doch nicht etwa …
    «Das, das war nur einmal. Das ist auch gar nicht für mich», schluchzt ein dünnes Stimmchen.
    «Hey, das ist halb so schlimm», tröstet Wilhelm und ist kurz davor, dem Kerl seinen Arm um die Schulter zu legen. Lenny und ich grimmen ihn

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