Kates Geheimnis
Montag früh bin ich wieder da.«
Und dann: »Ich weiß nicht. Ich fahre ein bisschen ins Grüne, nach Norden rauf. Der Lamborghini braucht seinen Auslauf. Wenn es ein Problem gibt, du hast ja meine Mobilnummern.«
Jill tat so, als hörte sie nichts. Mit wem sprach er da? Plötzlich fragte sie sich, ob er eine Freundin hatte und ihr nicht sagen wollte, wo er hinfuhr. Sie hatte 366
ihn nie nach einer Freundin gefragt; das würde sie auch jetzt nicht tun. Es ging sie nichts an.
»Ich habe mich noch nicht entschieden, wo ich übernachten will. Okay. Bye.« Er beendete das Gespräch und legte das Telefon weg. Schließlich konnte sie doch nicht anders. »Wer war das?«
Er lächelte sie an, als habe er ihre Vermutung erraten. »Das war
Thomas. Ich hab eine Konferenz heute Nachmittag abgesagt, und er wollte wissen, warum.«
Sie starrte ihn an. »Du hast ihm nicht viel erzählt.«
»Nein.«
»Du hast ihm überhaupt nichts gesagt.«
»Stimmt.«
Jill schaute wieder nach vorn. Sie fuhren in Richtung Westen auf der Oxford Street. Warum diese Geheimniskrämerei? Er hatte neulich auch ihr geraten, niemandem zu sagen, wohin sie wollten. Er sagte es nicht einmal Thomas. Weil er wusste, dass Thomas derjenige war, der die Briefe gelöscht hatte?
War Thomas der Mann, dem sie nicht trauen sollte?
Wem könnte mehr daran liegen, die Familie vor der Leiche im Keller zu beschützen? Jill sah zu Alex hinüber, der in gewisser Weise ebenso ein Außenseiter war wie sie selbst. Aber er hatte hart gekämpft, um sich seinen Platz in der Familie zu 367
erarbeiten. Machte ihn das nicht zu einem noch glühenderen Verteidiger ihres Rufes?
Jill konnte sich nicht entscheiden. Thomas’
Gegnerschaft war offensichtlich, Alex’ nicht. Aber es war Alex gewesen, der Thomas beschuldigt hatte, verborgene Pläne zu hegen. Wenn Alex so aufrichtig war, wie er sich gab, dann war Thomas der Schuldige.
Aber was, wenn er nicht so aufrichtig war? Was, wenn er sie absichtlich getäuscht hatte? Was, wenn er derjenige mit verborgenen Plänen war? »Woran denkst du, Jill?«, fragte er leise, als sie auf die Autobahn auffuhren.
Sie schrak zusammen. »Alex«, sagte sie vorsichtig,
»was glaubst du, was passieren würde, wenn wir herausfinden, dass Kate etwas Schreckliches zugestoßen ist, während sie auf Bensonhurst war?
Und dass Anne etwas damit zu tun hatte?«
Er sah sie an - und schaute dann in den Rückspiegel. Jill betrachtete seine Hände, um zu sehen, ob sie das Lenkrad fester umklammerten. »Du könntest die Story für ein hübsches Sümmchen an ein Schmierblatt verkaufen«, erwiderte er.
Jill setzte sich auf. »Du machst wohl Witze.«
»Nein. Die Presse würde eine kleine Sensation daraus machen. Die Leute würden sich auf Partys und in den Clubs eine Woche oder so das Maul zerreißen.
Und dann würde die Sache wieder im Sand verlaufen.«
368
»Das alles wegen einer Geschichte, die sich vor mehr als neunzig Jahren abgespielt hat?«
»Wenn es etwas Schlimmes war, sicher.« Ersah sie an. »Stell dir vor, es käme heraus, dass Joe Kennedy eine Geliebte hatte, die fortgeschickt wurde, um sein außereheliches Kind zu bekommen - und die Frau und das Kind sind unter mysteriösen Umständen verschwunden. Stell dir vor, er hätte ihnen gefälschte Identitäten verschafft, und jetzt würden ihre Nachkommen gefunden und benannt. Würde das in den Staaten nicht für Schlagzeilen sorgen?«
»Vielleicht im Time Magazine «, bemerkte Jill trocken, »wenn die Story blutig genug ist.«
»Siehst du«, sagte Alex und warf ihr diesmal einen längeren Blick zu.
»Warum hilfst du mir?«, fragte Jill geradeheraus.
Er schwieg. Dann sagte er, die Augen auf die Straße gerichtet: »Weißt du das wirklich nicht?«
Sie zögerte. Eigentlich wusste sie es sehr gut, da brauchte sie sich nur an ihren gemeinsamen Abend zu erinnern. Rasch wechselte sie das Thema. »Es gibt ein Krankenhaus in York, das wir uns anschauen sollten.
1908 war es das York Infant Hospital; Frauen haben dort ihre Kinder geboren.«
Er lächelte still vor sich hin.
»Mrs. Witcombe, meine Liebe, Sie haben Besuch.«
Beth Haroway war eine füllige Blondine Mitte 369
dreißig, und sie hatte Alex und Jill zu einer kleinen alten Dame geführt, die auf einer Bank in dem Park saß, der das Altenheim umgab. Beth Haroway lächelte fröhlich. Der Himmel war blau, und dicke Wattewolken zogen vorbei. Andere Bewohner des Heims genossen den Sonnenschein auf anderen Bänken oder in ihren
Weitere Kostenlose Bücher