Kates Geheimnis
Langsam drehte sie sich zu ihm um. Was würde er tun, fragte sie sich, wenn sie zu ihm ging, sich an ihn schmiegte und den Kopf an seine Schulter legte? »Ich kann jetzt nicht darüber reden.«
»Okay.« Er zögerte und sah sie immer noch durchdringend an. »Wir sollten zusehen, dass wir ins Trockene kommen.«
Jill nickte und folgte ihm zurück zum Wagen.
»Weißt du, ich habe von Leuten gelesen, die merkwürdige und sehr starke Reaktionen auf Orte gezeigt haben, die sie noch nie gesehen hatten so wie du eben.«
Jill stolperte. »Was?« Ihre Unruhe wuchs.
»Du bist da drinnen so weiß geworden, dass ich dachte, du fällst in Ohnmacht.« Er betrachtete sie immer noch besorgt, als sie an der Schmalseite des Hauses ankamen. »Es hat ausgesehen, als wärst du in Trance - oder sonst einem komischen Zustand. Ich habe dich angesprochen. Du hast mich gar nicht gehört.« Er starrte sie an. »Du warst gar nicht da, sondern weiß Gott wo.«
Jill überlegte sich ihre Antwort gut. »Mich hat es vor dem Turm gegraust«, gestand sie. »Er hat mir Angst gemacht. Ich habe dir doch gesagt, dass ich letzte Nacht davon geträumt habe.« Sie zögerte. »Ich 438
habe dich schon gehört.« Langsam hob sie den Blick.
Sie sahen sich in die Augen. »Aber deine Stimme klang so weit weg.«
Ein endloser Augenblick verstrich. »Vielleicht sollten wir bei unserer Suche nach Kate eine Pause einlegen. Du hast in letzter Zeit viel durchgemacht.
Du wirst noch krank ...«
»Nein!« Ihr Schrei war spitz und laut. Obwohl sie sich jetzt davor fürchtete, was als Nächstes kommen mochte, was sie noch alles herausfinden würde, sie konnte die Suche nach der Wahrheit jetzt nicht aufgeben. Kate war etwas Schreckliches zugestoßen.
Und Jill fühlte sich verpflichtet, das ans Licht zu bringen. Erschrocken stellte sie fest, dass sie Gerechtigkeit wollte. Zumindest das hatte Kate verdient.
»Also gut. Wenn du nicht aufhören willst, bin ich weiterhin dabei. Sollen wir gehen? Es ist zu früh fürs Mittagessen, aber wir können ja noch ein bisschen herumfahren.«
Jill rührte sich nicht. Sie waren jetzt aus dem Regen heraus, denn sie standen auf der überdachten Veranda hinter dem Haus. Sie schaute an dem Haus hinauf. Er hatte Coke’s Way als Landhaus bezeichnet. »Wer hat hier früher gewohnt, Alex?«, fragte sie langsam.
»Niemand hat hier gewohnt, seit ich mit sieben oder acht zum ersten Mal in Yorkshire war. Ich weiß nicht, ob seit dem Zweiten Weltkrieg überhaupt jemand hier gewohnt hat.«
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»Hast du es nicht vorhin als Landhaus bezeichnet?«
»Es war kein Bauernhaus, sondern eher ein Sommersitz, aber wenn du’s genauer wissen willst, müsstest du Thomas oder Lauren fragen. Oder vielleicht weiß jemand im Dorf mehr darüber.« Er betrachtete sie. »Worauf willst du hinaus?«
Jill starrte auf die vernagelten Fenster auf der Rückseite des Hauses. Ihr Blick wanderte nach oben.
Im oberen Stockwerk waren nicht vor allen Fenstern Bretter.
»Was schwirrt denn jetzt durch deinen einfallsreichen Kopf?«, drängte er.
Sie drehte sich um und sah, dass er lächelte. »Kate hat in einem Landhaus nicht weit von der Robin Hood Bay gewohnt. Sind wir nicht vor ein paar Minuten an einem Wegweiser zur Robin Hood Bay
vorbeigekommen?«
Er überlegte. »Sind wir. Es sind von hier keine fünf Kilometer bis dahin, genau in östlicher Richtung. Es gibt hier noch zwei solcher alten Landhäuser«, fügte er hinzu. Dann seufzte er. »Du willst da rein.« Es war keine Frage.
Jill nickte ernst. Kate und Edward waren ein Liebespaar gewesen. Sie hatte dafür keinen Beweis, nur die vagen Erinnerungen einer alten Dame, aber sie war vollkommen davon überzeugt. Wo hätte Edward seine schwangere Geliebte besser verstecken 440
können als in einem abgeschiedenen Landhaus auf seinem eigenen Grund und Boden?
Sie gingen zur Vorderseite herum. Während Alex aus dem Landrover Werkzeug holte, um die vor die Tür genagelten Bretter abzureißen, versuchte Jill, durch ein Fenster hineinzuspähen. Sie konnte nichts sehen außer zugedeckten Möbeln und tiefen Schatten.
Sie ging um das Haus herum.
An der Seite entdeckte sie eine Hintertür zur Küche, die nicht vernagelt war. Aber die Tür war mit einem schweren Vorhängeschloss an einer dicken, rostigen Kette versperrt. Jill packte die Kette und zog daran.
Doch sie war noch recht stabil.
Plötzlich erstarrte sie, ihr liefen Schauer über den Rücken. Sie konnte Alex nicht mehr hören, der auf der Vorderseite die
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