Kates Geheimnis
überprüfte den Kamin. »Verkohltes Holz«, verkündete er. »Und Asche.« Er richtete sich auf.
»Jemand hat es sich hier richtig gemütlich gemacht.
Ich frag mal nach, ob wir dieses Haus an irgendeinen Spinner vermietet haben.«
Schweigend stiegen sie die Treppe hinauf, Jill vorneweg. Sie ging ohne zu zögern ans Ende des Flurs. »Weißt du etwas, was ich nicht weiß?«, fragte Alex hinter ihr.
»Ist dir an den Fenstern auf dieser Seite nichts aufgefallen?«, antwortete Jill. Die letzte Tür war offen: Die beiden anderen, die sie gar nicht beachtet hatte, waren geschlossen.
Jill blieb zögernd an der Schwelle zu dem Schlafzimmer stehen. Ein schmales Bett mit vier kurzen Bettpfosten stand in der Mitte. Über weiße Baumwoll-Laken war ein blauer Überwurf gezogen.
Auf dem Nachttisch stand eine elektrische Lampe.
Daneben befand sich ein gläserner Aschenbecher und auf dem Boden ein elektrischer Heizlüfter.
Jill ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. An der gegenüberliegenden Wand stand ein Tisch mit einem Spiegel darauf. Während diese beiden Möbelstücke, ebenso wie das Bett, bestimmt mindestens hundert Jahre alt waren, galt das nicht für die Gegenstände auf dem Tisch, so wenig wie für Laken und Überwurf und Heizlüfter.
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Jill sah einen Stapel Zeitschriften. Ihr blieb das Herz stehen. Zuoberst lag Photography Today , die sie sofort erkannte.
»Hal war hier«, sagte Alex hinter ihr. Auch er hatte die Zeitschriften entdeckt. »Ich hab einen Blick ins Bad geworfen. Da sind Handtücher, Seife, Rasierschaum, ein Rasierer.«
Jill stand da wie angewurzelt. Er war hier gewesen, vielleicht kurz bevor sie, Jill, ihn kennen gelernt hatte.
Und dieser Ort hatte etwas mit Kate zu tun. Warum hatte Hal sich hier aufgehalten? Oder war diese Frage inzwischen überflüssig?
Er war wegen Kate hier . Jill spürte es.
Was, wenn er mit ihr zusammen gewesen war, weil sie Kates Urenkelin war?
Alex war an ihr vorbeigegangen und hatte die Schreibtischschubladen geöffnet. Sie waren leer.
Dann blätterte er die Zeitschriften durch und hielt plötzlich inne. Jill sah unter dem Stapel einen großen Umschlag.
Sie wurde von ahnungsvollem Grauen gepackt, erstarrte und wartete auf den nächsten Tiefschlag.
Als Alex den Umschlag öffnete, zog er eine Reihe großformatiger Hochglanzfotos heraus. Selbst aus der Entfernung konnte Jill erkennen, dass sie schwarzweiß waren. Sie musste sie nicht aus der Nähe sehen, um zu wissen, dass sie von Hal waren.
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Alex starrte auf das erste Foto und sagte kein Wort.
Jill bekam Angst. Seine Hände schienen zu zittern, und eine leichte Röte stieg ihm ins Gesicht.
Er nahm es und steckte es zuunterst, starrte auf das zweite Bild und sah dann schnell das restliche Dutzend Bilder durch.
»Was ist denn?« Ihre Stimme war ein heiseres Krächzen.
Er drehte sich zu ihr um. »Hier.« Er hielt ihr den Stapel Fotos entgegen.
Jill warf einen Blick darauf und erkannte sie sofort als Hals Arbeiten. Aber im nächsten Moment wäre sie fast in Ohnmacht gefallen, denn sie starrte auf Kate, die sich nackt und wunderschön auf einem dick gepolsterten Sessel räkelte. Die Pose war so geschmackvoll arrangiert, dass das Foto in der Vogue hätte erscheinen können. Weder ihre Brustwarzen noch ihre Scham waren zu sehen, aber Kate war ganz zügellose Weiblichkeit und verlockende Sinnlichkeit; ihre Brüste quollen über ihre verschränkten Arme, ihre schmale Taille ging in eine üppig gerundete Hüfte und schön geschwungene Oberschenkel über.
Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt, und der Blick in ihren Augen war so anzüglich und verträumt zugleich, dass sie unübersehbar in den Fotografen verliebt war.
Aber Hal konnte Kate nicht fotografiert haben.
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Sofort wurde Jill klar, dass das ein Bild von ihr selbst war, nicht von Kate.
Sie erinnerte sich an diese Aufnahme, und auch ihre Hände zitterten, ihre Wangen brannten wie Feuer.
Sie starrte sich an. Sie sah nicht wirklich so aus -
Hal hatte durch seine geschickte Arbeit mit Licht und Schatten ihre Formen und ihr Gesicht weicher erscheinen lassen. Himmel, einen Augenblick lang, einen entsetzlichen Augenblick lang, hatte sie geglaubt, Kate vor sich zu haben.
Ihre Hände zitterten noch heftiger, als sie rasch die anderen Bilder durchschaute. Sie enthüllten noch mehr von ihr - in einem stand sie fast frontal der Kamera zugewandt und strich sich mit einer Hand das Haar zurück, während das Sonnenlicht, das durch ein offenes Fenster
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