Kates Geheimnis
was Alex, der brillante, clevere Alex, vorschlagen und anraten würde .
Wie hatte sie je auch nur daran denken können, ihm zu vertrauen? Er war durch und durch verlogen - hatte ihr das Messer in den Rücken gejagt, nicht einmal, sondern mehrmals. Aber dies würde das allerletzte Mal sein. KC hatte Recht gehabt.
Jill war schrecklich elend zumute.
»Ich will Ihr Geld nicht«, sagte sie schließlich lahm.
»Ich will die Wahrheit - und ich will Gerechtigkeit.«
»Gerechtigkeit«, wiederholte Thomas, als hätte er das Wort noch nie gehört.
Jill drehte sich um und eilte die Straße hinunter, blindlings, fast rennend - sie musste weg von ihm -
weit weg - von ihnen allen. Und erst als sie die nächste Ecke erreichte, merkte sie, dass sie nur deshalb kaum etwas sah, weil sie weinte.
Jill saß allein an einem Tisch in einem kleinen, dunklen Pub an einer Straßenecke in Soho, an dessen Namen sie sich nicht erinnern konnte. Sie hatte gerade ihr drittes Ale getrunken. Eigentlich hatte sie 577
Ale immer gehasst, aber jetzt schien es, als könne sie sich daran gewöhnen.
Sie konnte Alex nicht trauen. KC hatte Recht.
Er hatte einen schweren Verrat begangen, an ihr, an ihrer Sache. Er war nicht ihr Freund. Er wollte, dass man ihr Geld gab, sie zum Schweigen brachte, sie nach Hause schickte.
Jill legte auf der zerkratzten, dunklen, hölzernen Tischplatte den Kopf auf die Arme. Wie konnte ihr das Herz so wehtun? Alex bedeutete ihr nichts, nicht das Geringste. Das musste sie im Kopf behalten.
Jill lächelte wehmütig in ihr seidig weiches Hemd.
Gib ihr Geld, damit sie heimfährt . Hatte Alex es so gesagt? Hatte er es so ausgedrückt? Tränen brannten unter ihren geschlossenen Lidern. Wenn sie nur daran dachte, dass sie geglaubt hatte, sie wären Freunde, und dass sie kurz davor gewesen war, sich in ihn zu verlieben ...
Abrupt fuhr Jill kerzengerade in die Höhe und wischte sich grimmig über die Augen. Ihr Puls raste.
Dieser letzte Gedanke war einfach aus dem Nichts aufgetaucht, und er gefiel ihr nicht, gefiel ihr gar nicht.
Jill wünschte, sie wäre ihm nie begegnet. Aber es würde nichts nützen, sich mit aller Macht zu wünschen, die Vergangenheit ungeschehen zu machen. Das brachte keine Gerechtigkeit, und es enthüllte nicht die Wahrheit. Es würde nicht ändern, 578
was geschehen war, und Kate kein langes, glückliches Leben verschaffen.
Jill rief die Bedienung herbei und bestellte noch ein Bier. Die Handschriften hatten nicht übereingestimmt.
Edward Sheldon und Jonathan Barclay waren nicht ein und derselbe Mann.
Sie blickte auf die Uhr über dem Tresen, wo sich viele Gäste ein Feierabend-Bierchen genehmigten. Es war sechs Uhr. Sie hatte fast zwei Stunden in diesem Pub gesessen. Nachdem sie Kingstons Büro verlassen hatte, war sie ziellos durch London gestreift, furchtbar enttäuscht darüber, dass die Handschriften nicht identisch waren.
Vielleicht sollte sie aufgeben und nach Hause fahren.
Grimmig richtete Jill sich auf. Sie gab nie so leicht auf. Sie hatte jeden Tag ihres Lebens um etwas gekämpft.
Man hatte ihr den Fehdehandschuh hingeworfen -
nicht einmal, sondern zweimal. Lady E.s Tod war eine Warnung gewesen, und dann hatte Thomas versucht, sie mit zwei Millionen Dollar zu bestechen, damit sie nach New York zurückkehrte. War das nicht Grund genug für sie, zu bleiben? Sie wurde den Sheldons sehr unbequem, soviel stand fest.
Sie brauchte eine neue Spur. Dieses Puzzle hatte so viele Teilchen, aber da musste eines sein, das Jill bisher übersehen hatte.
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Das Haus wirkte so kalt. Es war nicht mehr charmant und anheimelnd, es hatte sich verändert, als führte es neuerdings ein Eigenleben. Jill erschauderte wieder und dachte, dass es anders aussah, fremd - fast gespenstisch, fast drohend.
Ihr graute es davor, hineinzugehen.
Sie sagte sich, dass sie angetrunken war und ihre Fantasie mit ihr durchging. Was nur natürlich war, wenn man bedachte, dass sie von einem vor über neunzig Jahren verübten Mord besessen war - und dass erst gestern Abend jemand Lady E. getötet hatte.
Sie schaute zur Nachbarwohnung hinüber, in der Lucinda lebte. Alle Räume waren hell erleuchtet, was das Haus in einem warmen, friedvollen Licht erstrahlen ließ. Lucindas Wohnung wirkte freundlich und einladend. Abrupt betrat Jill Lucindas Vorgarten.
Lucinda öffnete sofort die Tür und lächelte. »Hallo, Jill.« Dann nahm ihr Gesicht einen traurigen Ausdruck an.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte Jill, der die Angst
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