Kates Geheimnis
demselben unglaublichen Augenblick. Sie lagen still und reglos auf dem Fußboden, nur ihre Herzen pumpten heftig. Während die Spannung aus ihrem Körper wich, lauschte Jill seinem Atem, wie er langsamer und gleichmäßiger wurde, und streichelte seine Lederjacke. Auch sie hatte noch ihren Pulli und BH an - über ihre Brüste hochgeschoben.
Oh mein Gott, war alles, was sie denken konnte.
Er küsste sie auf den Mund, sah sie an und setzte sich auf. Jill sah ihm in die Augen, und er hielt ihrem Blick stand. Sie setzte sich hoch. War das eine Frage in seinen Augen? Oder Reue?
Die Wirklichkeit drohte sie einzuholen. »Nicht jetzt«, sprach Jill flüsternd ihre Gedanken aus. Sie biss sich auf die Lippe, zog dann Pulli und BH über den Kopf und warf sie beiseite.
Er lächelte nicht. Seine blauen Augen wanderten über ihren Körper, ganz langsam, bis Jill fühlte, wie ihre Wangen heiß wurden.
»Ich will heute Nacht hier bleiben.«
Jill konnte kaum sprechen. Sie nickte nur.
Er lächelte. Und schälte sich aus Jacke, Pulli und Socken.
Jill erwachte allein.
613
Ihr kleiner Reisewecker piepste beharrlich, lästig.
Sie wollte wieder einschlafen, sie war so erschöpft -
aber sofort füllten Erinnerungen an die Liebesnacht mit Alex ihr Denken, und sie war hellwach. Sie rührte sich nicht und rief noch einmal die Berührung seiner Hände, seiner Finger wach; den Geschmack seines Mundes, seiner Zunge; das mächtige, erfüllende Gefühl, wenn er in ihr war; wie er sich zwischen ihren Beinen versenkt und sie fast besinnungslos geleckt hatte. Sie dachte daran, wie er in ihrem Mund geschmeckt hatte. Sie hatten in der vergangenen Nacht nicht viel Schlaf bekommen.
Jill tastete nach dem Wecker und schaltete ihn aus.
Sie erinnerte sich jetzt, dass sie ihn gestellt hatte, weil Alex um acht Uhr im Dorchester geschäftlich zum Frühstück verabredet war. Jetzt war es sieben.
Und um neun würde sie mit Lucinda nach Yorkshire aufbrechen. Jill setzte sich auf. Seine Seite des Bettes war zerwühlt, das Kissen eingedrückt. Ihre Schlafzimmertür war offen, ebenso die vom Badezimmer auf der anderen Seite des Flurs. Da war er also auch nicht. Bestürzt fragte sie sich, ob Alex vielleicht gegangen war, ohne sich zu verabschieden.
Aber wäre das nicht besser so?
Grimmig krallte sie die Hände in die Matratze. Sie hatte gedacht, dass Sex nicht besser sein könnte, als er mit Hal gewesen war. Sie hatte sich geirrt.
Unglücklich stand sie auf und schlüpfte in ihre Jeans und ein wießes T-Shirt. Sie hatte Hal geliebt, 614
auch wenn diese Liebe einseitig und ein Fehler gewesen war. Alex liebte sie nicht. Sie wusste nicht, wie letzte Nacht eine solche Leidenschaft zwischen ihnen hatte entstehen können.
Vielleicht lag das an den absurden Umständen, entschied sie. Vielleicht hatten Angst, Misstrauen und Verrat, die sie umgaben, sie den Sex so intensiv empfinden lassen.
Vor dem Spiegel über der Kommode blieb sie stehen und presste eine Hand auf die geschwollenen Lippen. Ihre Augen wurden feucht. Sie bereute es bereits. Ihre Ängste - und ihr Misstrauen - waren keineswegs unbegründet. Sie musste jeden verdächtigen, der zur Familie gehörte. Aber schlimmer war, dass sie wieder mit ihm zusammen sein wollte. »Oh Gott. Was mach ich bloß?«, fragte sie ihr Spiegelbild.
Die Antwort kam auf der Stelle. Bring die Wahrheit ans Licht. Das war Kates Stimme in ihrem Kopf, und sie klang so beängstigend laut und deutlich.
Jill sah sich um, aber Kate war nirgends zu entdecken - Gott sei Dank. Sie war verbittert und nervös. Wenn sie diese Wahrheit
kannte, würde sie auch die Wahrheit über Alex erfahren. Sie betete, dass er nicht tiefer in die Sache verwickelt war, als dass er ihr Geld geben wollte.
Jill hörte ein Geräusch von unten. Sie zögerte.
Wenn er gegangen war, ohne sich auch nur zu 615
verabschieden, wäre sie sowohl erleichtert als auch enttäuscht gewesen. Wenn er da unten war, würde ein Teil von ihr sich freuen - der andere ganz und gar nicht. Jill hatte die Wahl zwischen Regen und Traufe.
Auf bloßen Füßen ging sie langsam die Treppe hinunter.
Er war in der Küche und telefonierte auf seinem Handy. Und die Kaffeemaschine lief. Das süßliche, kräftige Aroma erfüllte den Raum.
Er brach mitten im Satz ab, als er sie sah. Ihre Blicke trafen sich. Jill hatte es die Sprache verschlagen, wie einer Fünfzehnjährigen nach dem ersten Mal.
Aber sie war nicht fünfzehn, und jemand hatte Lady E. getötet und ihre Wohnung
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