Kates Geheimnis
auf eine Seite starrte, auf der die Löhne der Angestellten für den Dezember aufgeführt waren. Jill wollte den Band schon schließen und noch ein bisschen in Coke’s Way herumschnüffeln, als ihr der Name Barclay ins Auge sprang. Sie erstarrte.
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Mit weit aufgerissenen Augen beugte sie sich wieder über das Buch. Sie hatte eine Liste der Weihnachtsgelder vor sich und ein gewisser Jonathan Barclay hatte zehn Pfund erhalten. Barclay, der die Quittung für Kates Krankenhausaufenthalt unterschrieben hatte, war ein Angestellter der Familie gewesen.
Zitternd vor Aufregung entdeckte Jill, dass neben jedem Bediensteten seine Stellung aufgeführt war -
Hausmädchen, Butler und so weiter. Aber Barclays Stellung im Haushalt war nicht beschrieben. Das fand Jill merkwürdig.
Aber ihr Herz raste immer noch. Barclay gab es wirklich - und jetzt konnte es auch keinen Zweifel mehr darüber geben, dass er etwas mit der Familie zu tun gehabt hatte!
Jill blätterte ein Jahr zurück und suchte seinen Namen. Vergeblich. Dann kehrte sie wieder zum Mai 1908 zurück. Und fand den Eintrag, den sie gesucht hatte. Mitte des Monats war ein Einkauf für Lord Braxton getätigt worden, für die Summe von sieben Pfund und fünf Shillings - aber im Gegensatz zu den anderen Einträgen stand nicht dabei, um was es sich handelte. War das von Bedeutung? Kate hatte gerade Peter das Leben geschenkt - und hier war der Beweis dafür, dass Edward zu dem Zeitpunkt hier gewesen war, in Stainesmore, nur wenige Meilen vom Krankenhaus entfernt.
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Sie kam der Wahrheit immer näher. Und es gab keinen Zweifel mehr. Die Wahrheit lag hier in Yorkshire verborgen. Sie blätterte zurück. Ihre Augen weiteten sich, als sie einen Eintrag vom 22. April fand. »Lord Braxton eingetroffen um achtzehn Uhr mit Mr. Barclay, Dauer des Aufenthalts noch nicht bekannt.«
»Oh mein Gott«, sagte Jill; ihr Puls begann wieder zu rasen. Und sie lächelte. Hier war eines der Indizien, die sie gesucht hatte. Vielleicht war Barclay sein Butler oder Kammerdiener gewesen, oder vielleicht nur ein Sekretär. Das würde sie womöglich nie erfahren. Aber sie wusste jetzt, dass er für Edward gearbeitet hatte - er hatte einen schönen Bonus zu Weihnachten bekommen , dass sowohl er als auch Edward hier gewesen waren, als Kate Peter geboren hatte, und dass Barclay das Krankenhaus bezahlt und die Rechnung unterschrieben hatte.
Jill wünschte sich dringend einen Kopierer. Sie zögerte und warf einen Blick auf die Fenster hinter ihr
- aber die Vorhänge waren immer noch vorgezogen.
Sie riss die Seite vom 22. April aus dem Buch, obwohl sie sich dabei scheußlich fühlte, und dann auch noch die mit Barclays Weihnachtsbonus. Hastig faltete sie die Seiten zusammen, steckte sie in die Hosentasche und schloss zitternd das Buch.
Sobald sie wieder in der Stadt war, würde sie alles kopieren und die Puzzleteile an Lucinda faxen - mit 644
der Anweisung, alles der Polizei und der Presse zu übergeben, falls ihr etwas zustoßen sollte.
Sie verließ das Arbeitszimmer, machte die Tür hinter sich fest zu und lauschte in die Stille. Sie hörte keine Schritte. Anscheinend hatte niemand bemerkt, wo sie die letzte Stunde verbracht hatte. Erleichtert eilte Jill aus dem Flügel zum Haupthaus zurück.
Jill wollte gerade hinauf in ihr Zimmer stürmen. Da sah sie die offene Tür der Bibliothek. Sie blieb stehen, Alarmglocken schrillten in ihrem Kopf. Angst packte sie. Aber dafür gab es keinen Grund. Das Haus blieb still.
Ihr stellte sich das Haar im Nacken auf. Sie bekam kaum noch Luft.
Langsam ging sie auf die offene Tür zu. Nein. Das konnte nicht sein. Sie erstarrte mitten im Schritt.
Ihr Blick fiel auf einen kanariengelben Kaschmirpulli, der über der Lehne eines Sessels hing.
Dann bemerkte sie entsetzt das kleine graue Mini-Notebook auf dem Tisch neben dem Sofa.
Alex war hier .
5. Oktober 1908
»Wie schön, dass du kommen konntest«, sagte Anne lächelnd. Da es draußen ungewöhnlich warm war, gingen die beiden jungen Frauen auf dem Rasen 645
hinter der Villa der Fairchilds spazieren, wo heute der Geburtstag der jüngsten Tochter gefeiert wurde.
Obwohl es erst Nachmittag war, trugen die Damen bereits ihre Abendkleider, die Herren Smoking. Im Augenblick war ein Krocketspiel im Gange, an dem sowohl Damen als auch Herren teilnahmen. Andere standen in Grüppchen beisammen, unterhielten sich, tranken Champagner oder probierten die Hors d’oeuvres, die von weiß befrackten Dienern gereicht
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