Kates Geheimnis
ein Martinshorn.
Das holte sie mit einem Ruck in die Gegenwart zurück. »Lucinda«, flüsterte Jill. Wenn ihr irgendetwas passiert war, würde Jill sich das nie verzeihen, »Lucinda!«
»Jill«, keuchte Lucinda atemlos. Ihre Haut hatte einen grünlich grauen Ton, aber sie sah Jill an - sie hatte ihre Brille verloren. Die Sirenen kamen näher.
»Alles in Ordnung?«, rief Jill. Ihr selbst schien nichts passiert zu sein, bis auf eine Prellung am Auge.
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Lucinda antwortete nicht. Jill sah, wie ihr Gesicht sich gespenstisch grün verfärbte, als ihr Kopf zurückfiel und sie das Bewusstsein verlor.
Entsetzt kämpfte Jill mit ihrem Gurt und dem Airbag und stolperte aus dem Auto. Aus den Augenwinkeln sah sie zwei Polizisten aus einem Streifenwagen steigen, der mit zuckendem Blaulicht hinter dem Toyota angehalten hatte. »Hallo«, rief sie und winkte verzweifelt. »Vorn sitzt eine ältere Frau, sie ist gerade ohnmächtig geworden!« Jill stand stocksteif und geschockt da und sah zu, wie einer der Polizisten an sein Funkgerät ging, während der andere um das Auto herum zu Lucinda rannte. Der sonnige Tag verschwamm und wurde trüb. Als sei sie in dichten Nebel geraten oder als habe ihr Fernseher sehr schlechten Empfang. So beobachtete Jill, wie sich der Polizist über Lucinda beugte, und fühlte sich dabei wie ein Zuschauer, weit entfernt von den Ereignissen um sie herum. Langsam gaben ihre Knie nach, und sie sackte wie ein Häuflein Elend in sich zusammen.
Ihre Bremsen hatten versagt. Sie wären fast umgekommen.
Jemand hätte sie fast umgebracht.
Eine weitere Sirene schrillte heran -
ein
Krankenwagen.
»Miss?«
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Jill konnte nicht aufblicken und hörte den Polizisten hinter sich kaum. Sie drückte ihre zitternden Beine an die Brust. Sie glaubte nicht mehr an Zufälle.
Jemand war für ihre kaputten Bremsen verantwortlich. Und wer auch immer das war, es war ihm - oder ihr - ganz egal, wenn Jill dabei ums Leben kam.
Oder vielleicht nicht. Vielleicht wollte er genau das.
»Miss? Sind Sie verletzt?«
Jill sah nun doch zu dem Polizisten auf, der vor ihr stehen geblieben war. Sie zitterte wie Espenlaub. Der Krankenwagen hatte mit kreischenden Bremsen neben dem Streifenwagen angehalten. Matt sah Jill zu, wie die Sanitäter aus dem Wagen sprangen und mit einer Bahre auf den Toyota zurannten.
Ich glaube, ich muss mich übergeben, dachte sie, denn sie sah plötzlich die Sanitäter auf sich und Hal zurasen.
Sie kämpfte gegen diese böse Erinnerung und fasste sich so weit, dass sie den Polizisten fragen konnte:
»Ist sie okay?«
»Ich weiß nicht. Sie holen sie erst mal aus dem Auto raus.«
Jill kämpfte sich auf die Beine und packte unwillkürlich den Polizisten am Arm, als Lucinda mit einer Halskrause auf die Bahre gelegt wurde. »Oh Gott.« Die Sanitäter trugen Lucinda zum 637
Krankenwagen. Jill stolperte hinüber. »Wie geht es ihr?«
»Scheint nichts gebrochen zu sein. Blutdruck ist niedrig, aber der Puls ist gut. Sie ist wohl nur ohnmächtig; sie kommt schon wieder zu sich.«
Jill erstickte mit der Hand einen Aufschrei, als Lucindas Lider flatterten, während sie in den Krankenwagen geladen wurde. »Und die Halskrause?«, flüsterte sie.
»Vorsichtshalber.«
Jill schlug die Hände vors Gesicht und weinte.
»Miss.« Das war der Polizist: »Wir werden Sie auch ins Krankenhaus bringen müssen.«
Jill nickte, während sie das Gesicht noch in den Händen verborgen hielt. Lucinda war nichts Schlimmes passiert. Gott sei Dank. Und plötzlich überkam sie eine rasende Wut.
Wer auch immer das getan hatte, musste aufgehalten werden. Aber sie selbst würde sich nicht aufhalten lassen.
Sie merkte, dass sie den Polizisten anstarrte und dass er ihr ihre Wut anzusehen schien, denn er wirkte erschrocken.
Jill holte tief Luft. Sie durfte sich bei der Polizei keine möglicherweise falschen Beschuldigungen erlauben. »Die Bremsen haben nicht funktioniert.«
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Der zweite Polizist trat zu ihr. »Ich weiß«, sagte er grimmig. »Ich hab mal nachgeschaut, während die Sanis mit Ihrer Freundin beschäftigt waren. Der Bremsschlauch ist durchgeschnitten worden. Sie hatten alle Bremsflüssigkeit verloren, Miss.«
Jill starrte ihn an. Wie sie vermutet hatte, war das Auto manipuliert worden. Aber wer hatte das getan?
Und plötzlich erinnerte sie sich daran, wie Alex und Lucinda sich
gestern Nachmittag vor Lucindas Gartentor unterhalten hatten. Alex, der die ganze letzte Nacht bei ihr verbracht hatte.
Alex, der
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