Kates Geheimnis
Vergangenheit bis 1906.
»Was für Pläne?«
»Hal hat mir erzählt, dass Uxbridge Hall der Stammsitz der Familie ist und dass man es besichtigen kann. Ich möchte gern hin, und ich habe 142
mich gefragt, ob das alte Haus eurer Großmutter Anne auch öffentlich zugänglich ist.«
Laurens hellbraune Brauen hoben sich. »Einige Räume im Erdgeschoss von Uxbridge Hall stehen Besuchern offen. Es ist nicht weit von London entfernt - mit dem Auto etwa eine halbe Stunde. Ich würde dich gern hinbringen.«
»Das wäre toll«, sagte Jill langsam. Warum war Lauren so nett zu ihr?
»Aber ich fürchte, mit dem Haus meiner Großmutter wirst du Pech haben. Anne ist in Bensonhurst Hall aufgewachsen. Sie war die letzte Bensonhurst, und sie war eine reiche Erbin, als sie meinen Großvater Edward heiratete, der der neunte Earl of Collinsworth wurde. Bensonhurst, das gesamte Anwesen, ging beim Tod ihrer Eltern an unsere Familie, ich glaube, das war kurz nach dem Ersten Weltkrieg. Aber das Haus wurde schon vor dem Krieg vom Parlament enteignet und abgerissen -
um Platz für einen Bahnhof zu schaffen.«
»Das ist nicht dein Ernst«, entfuhr es Jill.
»Doch. So etwas kommt vor. Es war ein altes Haus, kaum noch zu unterhalten, und es stand schlicht und einfach im Weg.« Lauren lächelte. »Fahren wir nach Uxbridge. Ich habe die Öffnungszeiten vergessen, aber ein ganzer Flügel ist ausschließlich der Familie vorbehalten, und wir können auf jeden Fall ins Haus, selbst wenn Uxbridge Hall heute geschlossen sein sollte.«
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»Das ist großartig«, sagte Jill aufgeregt.
»Was willst du dort?«, fragte Lauren neugierig, während sie die Treppe hinuntergingen.
Jill zögerte, sagte aber die Wahrheit. »Ich muss ständig an Kate Gallagher denken. Sie geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Sie hat etwas Fesselndes an sich.« Jill zögerte wieder. »Und ich habe so ein Gefühl, dass sie eine Verwandte von mir war, und das verfolgt mich auch.« Aber sie erzählte Lauren nicht, dass »Kate« der letzte Name war, der über Hals Lippen gekommen war. Jill würde keinen Frieden finden, bis sie herausfand, was das zu bedeuten hatte.
»Aber was hat dieses Gefühl mit Uxbridge Hall zu tun?«
»Kate war schließlich Annes Freundin«, sagte Jill, als sie das großzügige Foyer betraten. »Sie war 1906
bei Anne auf Bensonhurst zu Besuch. Anne hat Edward geheiratet. Ich glaube, näher als durch Uxbridge Hall werde ich Annes Stammhaus niemals kommen. Ich weiß eigentlich gar nicht genau, was ich dort will oder was ich mir davon erwarte. Ich muss einfach hin.« Noch während sie sprach, krochen eisige Schauer ihren Rücken hoch.
»Nun ja, es ist ein zauberhaftes Gebäude«, antwortete Lauren. »Und es gibt dort einige Erinnerungsstücke von der Bensonhurst’schen Seite der Familie. Aber ich bin ziemlich sicher, dass du da nichts Wichtiges über Kate finden wirst - außer natürlich Kates Geist.«
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Jill fuhr zu ihr herum. Ihre Nackenhaare schienen sich zu sträuben. »Warum hast du das gesagt?«
Lauren lächelte. »Glaubst du nicht an Geister? Das hier ist England, Jill. Unsere Geschichte ist sehr bewegt - und auch ziemlich blutig. Bei uns wimmelt es von alten Gespenstern.«
Besucher mussten ihre Autos auf dem Parkplatz abstellen und den Rest des Weges zum Haus laufen.
Aber Lauren hatte erklärt, dass das nicht für die Familie galt, während sie mit dem Chauffeur im RollsRoyce vor einem hohen, geschlossenen eisernen Tor warteten. Das Tor war die einzige Öffnung in einer hohen Mauer, und dahinter erstreckte sich eine hügelige Landschaft mit einigen Bäumen und einem großen Backsteingebäude. Jill starrte hinaus, während das Tor sich automatisch öffnete und der RollsRoyce hindurchfuhr. Sie hätte mitten im Londoner Vorstadtbezirk niemals eine solche ländliche Idylle erwartet.
»Dieses Haus gehört deiner Familie?«, fragte Jill atemlos, als der eindrucksvolle Landsitz in Sichtweite kam.
»Eigentlich gehört es jetzt als Kulturerbe dem National Trust, aber wir Sheldons können hier tun, was uns beliebt. Manchmal veranstalten wir hier sogar Partys«, erklärte Lauren.
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»Da ist ja ein See«, rief Jill aufgeregt, als sie einen großen, von Bäumen gesäumten Teich vor einem Flügel des rechteckigen Hauses entdeckte. Türme mit spitzen Dächern schmückten die vier Ecken des Gebäudes, und als sie die bogenförmige Einfahrt entlang glitten, tauchte ein fantastischer Säulenvorbau vor Jill auf, der mit seinem prächtigen Giebel
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