Kates Geheimnis
»Geben Sie hier den Tratsch von vor fast hundert Jahren weiter, Lucinda?«
»Ich gebe Tratsch weiter, der von Anne selbst stammt.« Lucinda lächelte unverdrossen.
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Jill wollte ihren Ohren nicht trauen. »Sie hat Ihnen das erzählt?« »Sie hat es meiner Vorgängerin erzählt.
Uxbridge Hall wurde 1968 nach umfangreichen Renovierungsarbeiten für Besucher geöffnet. Kurz vor der Eröffnung kam Anne hierher, um das Haus zu inspizieren und ihre Erlaubnis zur Eröffnung zu geben. Sie war damals bereits Witwe. Ihr Besuch hier schien viele Erinnerungen in ihr wachzurufen.
Behauptet jedenfalls Janet Witcombe.« Lucinda lächelte immer noch.
»Lebt sie noch?«, fragte Jill hastig. »Janet Witcombe?« »Allerdings.«
»Ich würde so gern mit ihr sprechen und herausfinden, ob das wahr ist und was Anne wirklich gesagt hat.« Noch während es aufgeregt aus Jill hervorsprudelte, wurde ihr klar, dass das vielleicht zu nichts führen würde. 1968, das war über dreißig Jahre her. Wer konnte sich an eine Unterhaltung von vor dreißig Jahren erinnern?
»Sie ist jetzt ein bisschen senil. Aber sie hat ausgesprochen lichte Momente. Wenn Sie Glück haben, erwischen Sie sie zu einem günstigen Zeitpunkt. Ich gebe Ihnen gern ihre Nummer.«
Jill wandte sich an Lauren. »Kannst du das fassen?«
Lauren runzelte die Stirn. »Nein, kann ich nicht.
Und was macht all das für einen Unterschied? Selbst wenn Kate einen Liebhaber hatte und an Bettlaken aus dem Haus geklettert ist, es ist einfach alberner 160
Klatsch, Jill. Gehen wir. Ich habe für heute genug von meinen toten Ahnen.«
Jill wollte nicht gehen. Es gab ein ganzes Haus zu erforschen, und wenn sie es nicht heute tat, würde sie es nie tun können, denn heute Abend ging ihr Flug.
Aber für Lauren war der Ausflug offensichtlich beendet. Widerstrebend folgte sie Lucinda und Lauren aus der Galerie und durch einen Raum mit feinstem Porzellan.
Erst in der riesigen Eingangshalle blieben die drei stehen. Jill hatte noch eine letzte Frage. »Wissen Sie, ob Kate Anne hier besucht hat, nachdem sie Edward geheiratet hatte?«
»Nein, das hat sie nicht. Ich fürchte, das wäre unmöglich gewesen.« Lucinda starrte sie an. »Sie sehen ihr übrigens sehr ähnlich.«
Jill fuhr zusammen. »Was?«
»Ich habe es in dem Moment bemerkt, als ich Sie zum ersten Mal gesehen habe. Noch bevor wir einander vorgestellt wurden.«
Jill fand, dass zwischen ihr und Kate gar keine Ähnlichkeit bestand. Kate war eine so fesselnde Erscheinung gewesen - Jill wusste zwar, dass sie selbst auch gut aussah, hielt sich jedoch für viel unscheinbarer. Aber Lucinda meinte es ganz ernst.
Bedeutete das nicht, dass sie vielleicht doch miteinander verwandt waren? War Kate Gallagher 161
eine lange vergessene Verwandte oder sogar ihre Urgroßmutter?
»Weshalb sind Sie so sicher, dass Kate nie hier war?«, fragte sie. Lucindas Lächeln erlosch. Sie wurde sehr ernst. »Sie hat Anne hier nicht besucht, meine Liebe, weil sie verschwand, als sie achtzehn war, und man hat nie wieder etwas von ihr gehört oder gesehen.«
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Vier
J ill ging langsam die Treppe hinunter. Sie war für den Heimflug in ihre Jeans geschlüpft, und ihre Taschen waren bereits von einem Diener in den Wagen gebracht worden. Sie verlangsamte ihren Schritt, als sie Alex Preston unten im Foyer stehen sah.
Er hatte ihr den Rücken zugewandt. Einen Moment lang zögerte Jill und erwog, wieder hinaufzugehen, um ihm nicht zu begegnen. Andererseits wollte sie ihren Flug nicht verpassen. Sie betrachtete ihn. Als Lauren heute Morgen ihren Versöhnungsmonolog vorgetragen hatte, hatte sie nicht direkt erwähnt, dass Alex sich der Entschuldigung angeschlossen hätte.
Alex musste sie gehört oder gespürt haben, denn er drehte sich um. Sein Blick suchte sofort ihr Gesicht.
Jill ging weiter hinunter und blieb vor ihm stehen.
Er hatte so eine Art, direkt durch sie hindurch oder vielmehr in sie hineinzuschauen, die sie nervös machte. »Ich bin unterwegs zum Flughafen«, erklärte sie. Sie wollte unbedingt hier weg, und es war ihr egal, wenn er das bemerkte.
»Ich weiß.« Er lächelte sie kurz an. »Ich bin hier, um dir eine gute Reise zu wünschen.«
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Jill nahm an, dass er ihre Abreise ebenso herbeisehnte wie der Rest der Sheldons. »Spielst du jetzt auch den abgesandten Sprecher der Familie?«
»Sollte ich das?«
Sie war überrascht. Wusste er nichts von Laurens Entschuldigung im Namen der Sheldons? »Ich schätze, nein. Danke für die
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