Kates Geheimnis
kräftigen Grundfarben. Die bunten Kelims auf dem Fußboden hatte Jill über die Jahre auf Flohmärkten zusammengekauft. Ihr Bett bestand aus einem einfachen Kasten und einer Doppelmatratze, aber darauf lagen ein tiefblauer
Quilt und ein halbes Dutzend großer Kissen in Pfirsichrosa, Blau und Gold. Von der orangefarbenen Couch schaute man direkt auf das Wandgemälde, und als Couchtisch diente eine Korbtruhe.
Der Essbereich befand sich neben der kleinen Küchenzeile -
an ihrem winzigen Tisch aus
Pinienholz fanden gerade zwei Leute Platz.
Klappstühle mit Sitzen und Lehnen aus rotem Stoff vervollständigten die Einrichtung.
Jill ging zur Küchenzeile und schälte sich aus ihrer Lederjacke. Sie hatte im Flugzeug nicht schlafen können. Ihre Gedanken hatten sich wie auf einem Karussell gedreht, um die Sheldons und Alex Preston 171
und Kate Gallagher. Und sie fühlte sich immer noch sehr unwohl bei der Vorstellung, dass sie Hal so weit hinter sich gelassen hatte - und dass er vielleicht eine andere Frau geliebt hatte, Marisa Sutcliffe.
Sie öffnete den Kühlschrank, um sich etwas Wasser zu nehmen, und erstarrte. In dem fast leeren oberen Fach lag eine halbe Pizza, und im Fach in der Tür stand eine offene Flasche Weißwein. Erst letzte Woche hatten sie und Hal sich diese Pizza geteilt, und Jill hatte Wein getrunken.
Sie warf die Tür zu.
Sie erwartete fast, ihn aus dem Bad spazieren zu sehen, ein Grinsen auf dem markanten Gesicht.
Hatte er Marisa geliebt? Hatte er mit Jill Schluss machen wollen, um nach Hause zu fahren und die andere zu heiraten? Hätte sie sich so in ihm täuschen können? Wäre sie so dumm gewesen?
So etwas passiert ständig, dachte Jill grimmig.
Und warum hatte er das Foto von Kate und Anne ausgerechnet auf seinem Nachttisch aufbewahrt?
Jill hielt sich an der Arbeitsplatte fest. »Das ist nicht fair, Hal«, schrie sie wütend. »Das alles ist einfach nicht fair!« Sie wollte Marisa jedes einzelne wundervolle Haar von ihrem hübschen Köpfchen reißen. Aber das war auch nicht fair. Was hatte Marisa denn
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getan, außer Hal sein ganzes Leben lang zu lieben?
Wenn Hal Jill etwas vorgemacht hatte - wenn er sie benutzt hatte, dann war er zu verurteilen und nicht sie.
Aber wie konnte sie auf jemanden wütend sein, ja jemanden hassen, der gerade gestorben war?
Jill wünschte, sie wäre wieder in Uxbridge Hall, um den Rest des Hauses zu erforschen und nach Hinweisen auf die Frau zu suchen, die tragischerweise so jung verschwunden war.
Jill drehte den Wasserhahn auf und trank gierig, mit geschlossenen Augen, ein ganzes Glas Leitungswasser. Sie wollte eigentlich gar nicht zu Hause sein. Ihre Wohnung war so schrecklich leer.
Sie fühlte sich jetzt noch einsamer als je zuvor selbst die Sheldons, so grob und unhöflich sie auch waren, waren Gesellschaft gewesen.
Ezekial strich schnurrend um ihre Knöchel.
Jill öffnete die feuchten Augen und bückte sich, um die Katze auf den Arm zu nehmen. Dem Himmel sei Dank für Zeke, dachte sie. Aber er war ein temperamentvolles Tier, fauchte und sprang von ihrem Arm. Er hasste es, festgehalten zu werden, aber er ließ sich sehr gern streicheln - wenn es ihm gerade passte. »Danke, Zeke«, sagte Jill zittrig.
Plötzlich nahm sie das Telefon in der Küche ab.
Aus der vorderen Tasche ihrer Jeans zog sie einen kleinen Zettel mit Lucindas Telefonnummern. Sie sah auf die Uhr. In New York war es zwei Uhr nachts, das 173
bedeutete sieben Uhr früh in London. Schnell wählte sie Lucindas Privatnummer.
Sie nahm sofort ab.
»Jill! Welch eine Überraschung.«
»Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt«, sagte Jill rasch.
»Nicht doch, meine Liebe, ich bin immer um sechs auf den Beinen«, zwitscherte Lucinda.
»Ich muss ständig an Kate Gallagher denken«, erzählte Jill. »Ich
wünschte, Lauren hätte mich nicht so schnell wieder aus Uxbridge Hall rausbugsiert.«
Lucinda schwieg. »Ja, das ist schade«, erwiderte sie dann.
»Was ist passiert, nachdem sie verschwunden ist, Lucinda?«, fragte Jill. »Und wann genau war das?«
»Im Herbst 1908, auf Weihnachten zu«, erzählte Lucinda. »Es gab eine offizielle Untersuchung, aber sie wurde nie gefunden. Ich glaube aber, es gab den Verdacht, dass sie mit ihrem Geliebten durchgebrannt ist. Ich habe irgendwo ein paar alte Zeitungsausschnitte darüber. Ich müsste sie aber erst suchen.«
»Das wäre toll«, sagte Jill begeistert. »Ist je herausgekommen, wer dieser Geliebte war?«
»Nein, ich glaube nicht.
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