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Katharsia (German Edition)

Katharsia (German Edition)

Titel: Katharsia (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Magister
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vernehmen.
    „Deshalb so viele Seelen …“, sagte Sando beklommen. „Und was ist mit dem Jungen?“
    Ben Hakim verstand nicht.
    „Welcher Junge?“
    „Er gehörte zu den Geiselnehmern. Ich glaube, er war nicht viel älter als ich, doch genau kann ich das nicht sagen, ich habe nur seine Augen gesehen.“
    Der Alte schüttelte den Kopf. „Ein Junge war nicht dabei.“
    „Sicher?“
    „Ganz sicher.“
    „Dann muss er die Explosion überlebt haben …“

DER BASAR
    Als Sando am Morgen erwachte, streifte er entschlossen den Kaftan über und legte sich das lange Band des Turbans um. Am Vortag hatte er die Stunden des Wartens auf den Alten genutzt und so lange geübt, bis es ihm gelungen war, das widerspenstige Ding zu bändigen. Mit der landesüblichen Kleidung würde er draußen nicht auffallen, hoffte er. Als er die Treppe hinunterschlich, hörte er Sina in der Küche werkeln. Von Denise gab es noch kein Lebenszeichen. Vorsichtig schob er den Riegel der Haustür zurück, öffnete und trat hinaus. Ein mulmiges Gefühl überkam ihn, doch er ignorierte es und lief in die Richtung, in der die Gasse in eine belebte Straße mündete.
    Niemand nahm Notiz von ihm. Bald fühlte er sich wie ein Fisch im Wasser, ließ sich treiben im Strom der Passanten. Und der spülte ihn schließlich auf einen weiten Platz, auf dem ein unbeschreibliches Tohuwabohu herrschte. Unzählige Marktstände mit Händlern, die geschwollenen Halses versuchten, den Nachbarn zu übertönen.
    Der Basar , dachte Sando. Endlich kann ich ihn einmal sehen.
    Sein Herz schlug höher. Er geriet in den Strudel der Menschenmasse, die sich zwischen den Buden hindurchschob. Es war kaum möglich, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Er schob sich Zentimeter um Zentimeter voran. Eingekeilt zwischen bärtigen Männern in langen Gewändern und bunt gekleideten, teils verschleierten Frauen, zwischen neugierig um sich blickenden Bleichgesichtern in europäischer Kleidung und schwarzhäutigen Afrikanern überkam ihn die leise Furcht, er könnte hier nie wieder herausfinden.
    Ihm fielen die Worte der Reiseleiterin im Bus ein. Kurz vor dem Überfall durch die Geiselnehmer hatte sie gesagt: „Bleiben Sie immer schön beisammen und merken Sie sich den Weg! Der Basar von Makala ist ein Irrgarten. Sie wären nicht die Ersten, die sich darin verliefen.“
    Hier im katharsischen Makala dürfte das Gleiche gelten , dachte Sando. Wie aber soll ich mir den Weg merken bei all den Rücken und Bäuchen, Gewändern und Bärten, die mich bedrängen?
    Nicht einmal von den feilgebotenen Waren hatte er bisher viel zu sehen bekommen. Nur, wenn sich zufällig einmal eine Lücke in der Menschenmenge auftat, erhaschte er einen Blick auf einen Stapel Kupferkessel, einen Haufen Seidentücher oder ein Bündel metallbeschlagener Ledergürtel. Doch die fremden, kehligen Laute der Händler, die ihre Waren anpriesen, drangen unausgesetzt an sein Ohr. Auch Düfte erreichten ihn. Exotische Gewürze kitzelten ihn in der Nase, gleich darauf stach unangenehmer Fischgeruch zu. Der wiederum wurde verdrängt von der süßlichen Ausdünstung rohen Fleisches, auf das sich unversehens ein freier Ausblick bot: Von Fliegen umschwirrt lag es in der sengenden Sonne auf Zeitungspapier. Sando hielt sich die Nase zu. Plötzlich malträtierte laute orientalische Flötenmusik seine Trommelfelle. Er drängte sich mit einigem Ellbogeneinsatz nach vorn und entdeckte den Musikanten: Es war ein Junge etwa seines Alters mit rotem Turban, gelber Pluderhose und kurzer grüner Weste, deren Goldstickereien in der Sonne glänzten. Er saß auf einem reich gemusterten Teppich inmitten der Menge vor einem Korb, aus dem eine Schlange herausschaute, die sich im Rhythmus des Flötenspiels hin und her wiegte. Neben dem kleinen Schlangenbeschwörer stand ein Pappschild: „Fotografieren 5 Kat“
    Sando fragte sich, wie der Junge es anstellen wollte, in dem Gedränge das Geld einzutreiben. Er blieb neugierig stehen, um zu sehen, was geschah. Nun bemerkte er einige Leute, offenbar Angehörige des Jungen, die die Vorbeikommenden genau beobachteten. Darunter ein Hüne, mit dem sicher nicht gut Kirschen essen war. Nichts schien ihren wachen Augen zu entgehen. Sobald ein Tourist auf den Auslöser seiner Kamera drückte, sah er sich sofort mit einer fordernden Hand konfrontiert. Sando musste lächeln, weil viele der Vorbeikommenden das Spiel zu kennen schienen, denn sie rührten ihre Kamera betont nicht an. Zusehen kostete

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