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Katrin Sandmann 03 - Wintermärchen

Katrin Sandmann 03 - Wintermärchen

Titel: Katrin Sandmann 03 - Wintermärchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Klewe
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auf die Liege zu holen, sonst würde sie womöglich erfrieren. Sie überlegte fieberhaft. Sie musste es mit den Beinen versuchen. Ihre Arme waren auf dem Rücken gefesselt; mit ihnen konnte sie gar nichts ausrichten. Gab es eine Möglichkeit, an die Decke zu kommen, ohne die Liege zu verlassen? Wohl kaum. Es würde ihr nichts anderes übrig bleiben alsherunterzuspringen, dann die Decke irgendwie hoch zu hieven und sich selbst wieder auf die Liege zu rollen. Wie sie die Decke dann auf ihrem Körper ausbreiten sollte, wusste sie allerdings noch nicht. Darüber konnte sie sich später Gedanken machen. Erst einmal musste sie sie überhaupt haben.
    Es war vollkommen irrwitzig. Niemals hätte sie gedacht, dass es einmal ein solches Problem für sie sein könnte, eine Decke, die auf den Fußboden gefallen war, wieder aufzuheben und sich damit zuzudecken.
    Sie richtete sich auf. Sie musste dreimal Anlauf nehmen, bis sie es schaffte, ihrem Oberkörper so viel Schwung zu verleihen, dass sie tatsächlich sitzen blieb. Wenigstens hatte die Anstrengung sie ein wenig ins Schwitzen gebracht, sodass das Zittern vorübergehend aufhörte. Vorsichtig drehte sie sich, damit ihre Füße über dem Boden hingen. Die Liege war in relativ niedriger Höhe an der Wand befestigt worden. Zwischen ihren Schuhsohlen und dem Boden lagen vielleicht zwanzig Zentimeter. Trotzdem hatte Katrin Angst vor dem Sprung. Ihre Hände waren hilflos auf den Rücken gefesselt, und wenn sie stolperte oder umfiel, gab es nichts, mit dem sie den Sturz abfedern konnte.
    Sie atmete tief durch die Nase ein, dann sprang sie. Ein Stechen fuhr durch ihre Füße, als sie auf den Boden aufkam, sie schwankte, kippte und knallte der Länge nach auf den glatten Beton. Wie Feuer jagte der Schmerz durch ihre Schulter und ihre Hüfte. Ihre rechte Gesichtshälfte brannte. Sie japste nach Luft. Tränen schossen ihr in die Augen. Sie fühlte sich elend, kalt, hungrig, schmutzig und vollkommen allein.
    Wenn der Mann jetzt wiederkäme, würde sie sich nicht schlafend stellen. Sie konnte nicht mehr. Sie würde alles mit sich machen lassen, wenn er sie wenigstens in diese Decke hüllte, ihr etwas zu essen und zu trinken gab. Aber der Mann kam nicht. Niemand kam.
    Wer weiß, ob er jemals wiederkommen würde.
    Was, wenn nicht? Womöglich hatte er vorhin gar nicht angenommen, dass sie schlief; vielleicht hatte er sie für tot gehalten. Wozu sollte er dann wiederkommen? Und wer weiß, was das für ein Ort war, an dem sie sich befand? Wenn der Entführer nicht wiederkam, würde jemand anders sie rechtzeitig finden? Würde überhaupt jemand nach ihr suchen?
    Manfred. Sie sehnte sich plötzlich nach seinem warmen Lachen, nach seinem Geruch, seinen Händen. Sie sehnte sich sogar nach den Dingen, die sie manchmal aufregten, nach der temperamentvollen Art, mit der er gleichzeitig telefonierte, seine Schlüssel in der ganzen Wohnung suchte und dabei einen Apfel aß; der Angewohnheit, grundsätzlich mit mindestens fünfundsechzig Stundenkilometern durch die Stadt zu rasen und dabei möglichst viele gelbe Ampeln zu erwischen; dem vorlauten Tonfall, mit dem er auf Leute einreden oder ihnen penetrante Fragen stellen konnte, ohne zu merken, wann er dabei zu weit ging. Was hätte sie darum gegeben, diese Stimme jetzt neben sich zu hören!
    Aber er war nicht hier. Sie hatte keine Ahnung, wo er war. Sie wusste ja nicht einmal, wo sie selbst war. Er würde nach ihr suchen. Er würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sie zu finden, sobald er merkte, dass sie verschwunden war. Aber wann würde das sein? Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie bewusstlos gewesen war. Sie wusste nicht, wie lange sie schon in diesem Raum gefangen gehalten wurde. War sie erst seit wenigen Stunden verschwunden oder schon Tage?
    Sie zog die Knie hoch bis ans Kinn und legte ihr Gesicht schützend auf den weichen Stoff ihrer Hose. Die Haltung beruhigte sie, doch sie spürte auch, wie die Kälte aus dem nackten Betonboden in ihren Körper kroch. Die Tränen liefen ihr jetzt über die Wangen, und ihre Knie wurden feucht.
    Wenn niemand sie fand, wie lange würde es dauern, bis sie das Bewusstsein verlor und nichts mehr spürte? Wie lange würde es dauern, bis sie tot war?

7
    Peter Wickert kam zurück ins Wohnzimmer. »Ich habe den Kindern einen Film angemacht. Jetzt können wir ungestört reden.«
    Es war Sonntagvormittag. Es hatte wieder fast die ganze Nacht hindurch geschneit und das Rheinland lag unter einer

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