Katrin Sandmann 03 - Wintermärchen
Roberta öffnete die Tür. Sie hatte beschlossen, Katrins Kater Rupert vorübergehend nach Grimlinghausen zu holen, wo er nicht den ganzen Tag über allein war und sie sich besser um das Tier kümmern konnte. Ihre drei Kinder freuten sich sehr darüber. Sie lagen Roberta seit Ewigkeiten damit in den Ohren, dass sie unbedingt ein Haustier haben wollten. Dass sie jetzt wenigstens schon mal eins zur Pflege bekamen, machte sie überglücklich. Von den schrecklichen Hintergründen, die es nötig machten, dass Rupert für eine Weile bei ihnen untergebracht wurde, ahnten sie allerdings nichts.
Als der kleine Tommy mit freudestrahlendem Gesicht laut gerufen hatte: »Vielleicht will die Katrin ihn ja nie wieder, dann behalten wir ihn einfach!«, war Roberta in Tränen ausgebrochen und aus der Küche gestürzt. Ihr Sohn hatte ihr fassungslos hinterhergeblickt.
Rupert ließ sich willig in den Korb bugsieren. Während Roberta sich um das Tier kümmerte, streifte Manfred noch einmal ziellos durch die Wohnung, in der Hoffnung, irgend-
etwas zu entdecken, was er bisher übersehen hatte. Sein Blick fiel auf den Zettel neben dem Telefon. »Ich sollte noch mal versuchen anzurufen«, murmelte er.
»Wen?« Roberta war mit dem Korb aus der Küche gekommen.
»Katrins Eltern.«
»Ich dachte, das hättest du schon erledigt?« Roberta stellte den Korb ab.
Manfred schüttelte den Kopf. »Ich habe angerufen, aber nichts ausrichten können. Sie waren nicht im Hotel, irgendein Ausflug. Aber ich habe nicht genau verstanden, wann sie wieder zurück sein sollten. Die Verbindung war so schlecht.« Er nahm den Zettel mit der Telefonnummer. »Jetzt ist mir nicht danach. Ich nehme die Nummer mit und probiere es später noch mal.«
Auf der Straße stand ein Taxi. Roberta wunderte sich, denn es hatte schon dort gestanden, als sie vor einer Viertelstunde angekommen waren. Da ließ jemand offensichtlich lange auf sich warten. Sie gingen zu Manfreds Wagen und verstauten den Katzenkorb auf der Rückbank. Als sie gerade einsteigen wollten, trat eine Frau auf sie zu. Sie kam Roberta bekannt vor, aber sie konnte sich nicht erinnern, wo sie sie schon einmal gesehen hatte. Im gleichen Augenblick rollte auch das Taxi an ihnen vorbei, und der Blick, den der Fahrer ihnen zuwarf, war voll unverhohlener Neugier.
»Entschuldigen Sie«, fing die Frau an, und jetzt wusste Roberta auch, wer sie war. Susi! Nein, eigentlich natürlich nicht. Der war der Name der Figur, die sie spielte. Sie war der Star der Vorabendserie ›Verrückt nach Susi‹. Wie hieß sie noch in Wirklichkeit? Bevor Roberta sich erinnern konnte, half die Frau ihr auf die Sprünge.
»Mein Name ist Jeanette Grima. Ich muss mit Ihnen sprechen.«
Roberta blickte verwirrt zu Manfred, doch der schien nicht sonderlich überrascht zu sein. Er musterte die Schauspielerin abschätzend.
Diese sprach weiter, als ihr niemand antwortete. »Kennen Sie Katrin Sandmann? Sie waren doch gerade in ihrer Wohnung, oder? Ich habe Sie eben am Fenster in der zweiten Etage gesehen. Sind Sie mit ihr befreundet? Es gibt da ein paar Dinge, die ich wissen muss. Vielleicht können wir noch einmal hineingehen? Drinnen spricht es sich besser, als hier auf der Straße.«
»Nein!« Manfreds Antwort kam kalt und bestimmt. »Dort hinten auf der Aachener Straße ist eine Kneipe. Da können wir uns reinsetzen. Ich nehme Sie nicht mit in Katrins Wohnung.«
»Schon gut«, sagte Jeanette beschwichtigend. »Ich dachte nur, da wären wir ungestört. Wenn ich mich in der Öffentlichkeit irgendwo hinsetze, sorgt das immer für ein wenig Aufruhr. Ich bin Schauspielerin, verstehen Sie?«
Manfred schnaubte verächtlich. Er ignorierte ihren Einwand, knallte die Wagentür zu und marschierte Richtung Aachener Straße. Roberta blickte ihm irritiert nach. Kannte er sie irgendwoher oder hegte er eine grundsätzliche Abneigung gegen die Darsteller banaler Daily Soaps? Sie seufzte. Womöglich war er einfach immer noch vollkommen durch den Wind. Was er heute Morgen durchgemacht hatte, ging vermutlich an niemandem spurlos vorüber. Einen Menschen leblos im Schnee liegen zu sehen, zusammengeschlagen, womöglich ermordet, von dem man annehmen muss, dass es die Person ist, die man liebt, hinterlässt Spuren, selbst wenn sich nachher herausstellt, dass es sich doch um jemand anderen handelt, dass man noch einmal davon gekommen ist.
Roberta blickte auf Manfred, dann auf Jeanette und schließlich zu Rupert, der durch die Wagenscheibe mit kläglichem
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