Katrin Sandmann 04 - Blutsonne
ein, dass Manfred gar nicht Bescheid wusste. Sie war als Erste am Fundort einer Leiche, und er lag friedlich im Bett und schlief. Instinktiv langte sie nach ihrer Handtasche, aber dann fiel ihr ein, dass die ja zu Hause lag. Und in ihr das Mobiltelefon. Sie würde darauf hoffen müssen, dass einer der Kollegen von der Zeitung Manfred Bescheid sagte.
Neugierig sah sie zu, wie zwei Männer von der Feuerwehr eine Leiter an das Schaukelgerüst stellten und den Toten herunterhievten. Am Rand der Polizeiabsperrung standen die ersten verschlafenen Schaulustigen. Ein Mann filmte die Arbeit der Polizei heimlich mit seinem Handy, ohne dass einer der Beamten etwas bemerkte. Wenig später kam Halverstett auf den Wagen zu. Er öffnete die Fahrertür und setzte sich neben sie.
»Guten Morgen, Katrin. Ich höre.«
»Guten Morgen.« Katrin wusste nicht so recht, wo sie anfangen sollte. »Ich wollte Fotos machen. Da habe ich ihn gefunden.«
Halverstett sah sie an. »Ist das alles?«
Sie schüttelte den Kopf. »Die Morde vorgestern. Ich weiß, Sie haben jemanden verhaftet …« Sie hielt inne, als Halverstett unwillig schnaufte.
»Entschuldigen Sie, Katrin, ich wollte Sie nicht unterbrechen. Erzählen Sie weiter.«
»Also, mir fiel gleich auf, dass das nicht irgendein Tatort war. Im Rheinpark. Und dann auch noch, um jemanden aufzuknüpfen.« Sie merkte, dass sie wirres Zeug redete, und riss sich zusammen. »Also, das Gelände, das jetzt Rheinpark heißt, hieß früher Golzheimer Insel.«
»Und dort stand der Galgen, ich weiß.«
»Oh.«
»Irgendjemand von der Geschichtswerkstatt Düsseldorf oder so hat im Präsidium angerufen.«
»Dann wissen Sie sicher, dass der Schillerplatz auch –«
»Wie bitte?« Halverstett fixierte sie ungläubig. »Stand hier etwa auch mal ein Galgen?«
Katrin nickte.
»Und deshalb waren Sie hier?«
Katrin nickte wieder. »Aber nicht wegen der Morde. Ich wollte Fotos machen, für ein Buch über Düsseldorf.«
Halverstett stöhnte leise. »Sie bringen mich noch um den Verstand, Katrin. Wie machen Sie das nur immer?«
In dem Augenblick sahen sie, wie an der Ecke zur Herderstraße ein kleiner Tumult entstand. Ein Mann diskutierte wild gestikulierend mit zwei leicht genervten Streifenbeamten. Es war Manfred.
»Na, der hat natürlich noch gefehlt.« Halverstett stieß die Wagentür auf und ging auf die Gruppe zu. »Ist schon okay. Er gehört zu der Zeugin.« Halverstett deutete auf den Streifenwagen. »Sie sitzt da drin. Am besten bringen Sie sie nach Hause. Steht ziemlich unter Schock. Und das nächste Mal passen Sie ein bisschen besser auf sie auf, ja?« Er blickte Manfred durchdringend an, doch um seine Lippen zuckte es. Manfred grinste und stürmte auf den Streifenwagen zu.
*
»Hört sich nach einem Irren an.« Roberta hatte die Kinder bei einer Nachbarin gelassen und war in die Karolingerstraße gekommen. Katrin lag mit geschlossenen Augen auf der Couch, in eine Decke gehüllt. Manfred hockte auf dem Boden vor ihr, und Roberta saß im Schaukelstuhl. Rupert lag auf der Fensterbank und schlief. Auf dem Teppich in der Nähe der Couch stand eine Teekanne. Eine leere Packung Kekse lag daneben. Es war Viertel nach drei. Der Nebel hatte sich vollständig gelichtet und einem fahlen Februartag Platz gemacht. Leichter Nieselregen fiel.
»Ganz so irre kann der aber nicht sein«, warf Manfred ein. »Ist schließlich gut durchdacht, was er da tut.«
»Wenn man mal davon absieht, dass es von vornherein irre ist, einen Menschen einfach umzubringen. Für mich ist das ein durchgeknallter Serienkiller. Gut durchdacht hin oder her.« Roberta stieß sich vom Boden ab, und der Schaukelstuhl geriet in Bewegung.
Katrin richtete sich auf. »Quatsch. Das ist kein Serienkiller.«
»Ach nee.« Manfred drehte sich zu ihr um. »Ich dachte, du schläfst.«
Katrin ignorierte seinen Kommentar und sprach weiter. »Ein Serienkiller sucht seine Opfer willkürlich aus. Er steht in keiner persönlichen Beziehung zu ihnen.«
»Und du glaubst, das ist hier anders?« Roberta hörte auf zu schaukeln und sah Katrin zweifelnd an.
Katrin setzte sich gerade auf das Sofa und wickelte sich die Decke um die Schultern. »Die Tatorte sind Richtplätze. Das heißt, die Opfer wurden gerichtet. Hingerichtet. Weil sie irgendwas verbrochen haben. Zumindest in den Augen des Täters. Also muss er sie gekannt haben. Von ihren Taten gewusst haben. Vielleicht hat er irgendwelche schrecklichen Dinge über sie herausgefunden.
Weitere Kostenlose Bücher