Katrin Sandmann 04 - Blutsonne
wissen.«
Katrin überlegte fieberhaft. »Düsseldorfer Rechtsgeschichte. Todesstrafe. Galgen.«
Die Frau zog die Augebrauen hoch. »Da interessieren sich ’ne Menge Leute für in letzter Zeit.«
»Wirklich?«
»Wirklich.« Frau Karentschek musterte Katrin durchdringend. »Sind Sie von der Presse?«
»Nein. Es ist so, wie ich es aufgeschrieben habe. Ich recherchiere für ein Buch. Einen Bildband über Düsseldorf.«
»Und es hat nichts mit den Morden zu tun?«
»Den Morden?« Katrin wurde heiß und kalt.
»Die Erhängten im Rheinpark und am Schillerplatz. Deshalb war der Mann von der Zeitung hier. Irgendwas mit Richtplätzen. Er wollte auch was über Galgen in Düsseldorf wissen.« Mit sichtlichem Genuss beobachtete die Frau Katrins Reaktion, während sie ihre Erklärung fortsetzte. »Da staunen Sie, was? Wenn ich den Mann richtig verstanden habe, hat an beiden Tatorten früher mal ein Galgen gestanden. Mächtig gruselig, finden Sie nicht?«
Katrin tat erstaunt. »Das ist ja unglaublich. Von welcher Zeitung war denn der Journalist?«
»Weiß ich nicht mehr. Aber ich sag Ihnen was anderes.« Frau Karentschek beugte sich verschwörerisch nach vorn. »Die Polizei war auch schon hier. Zwei Beamte, ein Mann und eine Frau. Haben sich ein paar alte Zeitungsartikel angesehen. Und in denen ging es auch um Galgen.«
Katrin überlegte fieberhaft. »Und sonst? Hat sich noch jemand für das Thema interessiert? Ich meine, vor den Morden?«
»Das wollten die von der Polizei auch wissen. Ich konnte mich nicht genau erinnern. Also habe ich in den Unterlagen nachgesehen. Da war tatsächlich jemand da. Vor etwa vier Wochen. Der hat sich allerdings für ganz viele Dinge in Bezug auf die Stadtgeschichte interessiert. Die Artikel über die Galgen wollte er aber auch sehen. Und alte Stadtpläne.«
»Und? Wer war es?« Katrin hielt den Atem an.
Die Frau zögerte. »Das darf ich Ihnen nicht sagen.«
Katrin nickte. »Ich verstehe. Da könnte ja jeder kommen.«
»Eben. Ich habe Ihnen eigentlich sowieso schon viel zu viel erzählt. Am besten vergessen Sie das ganz schnell wieder. Möchten Sie jetzt die Artikel über die alten Richtplätze sehen?«
Frau Karentschek brachte die alten Zeitungen in den Leseraum. Einige ältere Ausgaben musste Katrin sich auf Mikrofilm ansehen. Neben den Zeitungsartikeln gab es ein paar Bücher über die Rechtsgeschichte Düsseldorfs. Aufgeregt studierte Katrin die Unterlagen. Außer ihr war niemand im Leseraum, es war totenstill, nur der Regen prasselte unermüdlich gegen die Fensterscheiben.
Schließlich hatte sie alle Richtplätze zusammen. Die Golzheimer Insel war der erste Ort in Düsseldorf gewesen, an dem ein Galgen gestanden hatte. Als die Stadt größer wurde, hatte man den Standort nach Osten verlagert, ungefähr dorthin, wo heute Kinder über den Schillerplatz tobten. Dann war der Richtplatz noch einmal verlegt worden. Diesmal weiter nach Norden. Wenn der Mörder chronologisch vorging, müsste er seine nächste Tat eigentlich an diesem dritten Ort begehen, also irgendwo in der Nähe des Spichernplatzes . Der war gar nicht weit vom Stadtarchiv entfernt, dem Gebäude, in dem Katrin sich gerade befand.
Nachdenklich starrte sie aus dem Fenster. Dann fiel ihr etwas ein. Wenn der Mörder tatsächlich chronologisch vorgehen würde, wäre die Golzheimer Insel gar nicht der erste Tatort gewesen. Dann hätte er ganz oben im Norden von Düsseldorf anfangen müssen. Dort nämlich, auf dem Kreuzberg bei Kaiserswerth , hatte im Hochmittelalter das alte Hauptgericht Diebe und Mörder verurteilt, als das Dorf an der Düssel noch ein Weiler mit einigen wenigen Häusern gewesen war. Erst knapp hundert Jahre nach der Stadterhebung hatte Düsseldorf selbst das Galgenprivileg verliehen bekommen. Der Mörder ging also nicht chronologisch vor. Ihre Theorie war falsch.
*
Es war erst halb zwölf, als Katrin das Stadtarchiv verließ. Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen, und zwischen den dahinjagenden Wolken blinzelte gelegentlich ein Stück blauer Himmel hervor. Katrin beschloss, noch zu Leonore Hirschwedder zu fahren, der Frau, deren Hund verschwunden war, und mit ihr zu sprechen. Mit Straßenbahn und Bus war es eine halbe Weltreise vom Stadtarchiv im Norden Düsseldorfs bis nach Benrath ganz im Süden, aber so hatte Katrin reichlich Zeit, ihre Notizen über die Stadtgeschichte noch einmal in Ruhe durchzugehen.
Leonore Hirschwedder war ganz anders als ihre Schwester. Sie trug ein elegantes,
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