Katrin Sandmann 04 - Blutsonne
kaputtgehen würde.«
»Ich weiß nicht. Das sind doch alles Spekulationen. Wir wissen gar nichts über die beiden.«
»Du hast die Frau nicht gesehen. Sonst würdest du verstehen, was ich meine. Irgendetwas will sie nicht an sich heranlassen, so viel ist klar. Ob es die Wahrheit über ihre Kindheit ist oder irgendetwas anderes, kann ich natürlich nicht sagen. Auf jeden Fall fand ich es furchtbar bedrückend in dieser Wohnung. Ich war froh, als ich wieder draußen war. Und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, diese Frau im Stich zu lassen. Schon verrückt.«
»Ich finde es traurig, wie viele Menschen im Verborgenen leiden und niemanden haben, der ihnen hilft.« Roberta drehte die Salzstange gedankenverloren zwischen ihren Fingern. »Aber vielleicht ist diese Frau ja auch ganz glücklich, so wie sie lebt.«
»Ich weiß nicht …«
»Aber mit der Ermordung ihrer Schwester hat das nichts zu tun, oder?«
»Wohl kaum. Der Vater ist seit Jahren tot. Die Mutter auch. Die beiden Frauen haben seit einer Ewigkeit nicht mehr miteinander gesprochen. Ich glaube nicht, dass es da einen Zusammenhang gibt. Keinen direkten jedenfalls. Trotzdem ist diese Annika Lennard in gewisser Weise der Schlüssel zu ihrer Schwester. Zu ihrem Charakter. Und wenn ihr Tod keine grausame Willkür war, sondern ein persönliches Motiv dahintersteckt , dann könnte es schon wichtig sein zu wissen, was für ein Mensch Carina war.«
Roberta schenkte Tee nach. »Wir haben es mit vier verschiedenen Opfern zu tun, die sich offenbar nicht kannten und in unterschiedlichen Teilen der Stadt gewohnt haben. Außerdem hat dieser Mann erst ein Ehepaar, dann einen einzelnen Mann und danach eine einzelne Frau umgebracht. Drei hat er erhängt, eine geköpft. Die Opfer sind ein Bankangestellter, eine Erzieherin, ein Polizist und eine Zahnarzthelferin. Wo ist da der Zusammenhang?«
»Da gibt es unendlich viele Möglichkeiten.« Katrin zählte an den Fingern ab. »Erstens: Sie hatten alle das gleiche Hobby, waren im gleichen Segelclub, Naturschutzverein oder so. Dort haben sie gemeinsam etwas getan, das der Mörder für verwerflich hält. Oder das ihm persönlich geschadet hat. Zweitens: Ein Liebesreigen. Elisabeth Kassnitz hatte ein Verhältnis mit dem Polizisten Karl Binder. Und –«
Roberta schnaubte und verzog skeptisch das Gesicht. Doch Katrin ließ sich nicht beirren. »Ich spiele nur die Möglichkeiten durch. Lass mich ausreden. Also, die beiden haben ein Verhältnis, Carina hat derweil was mit Bertram Kassnitz .«
»Und was hat der Mörder damit zu tun?«
»Vielleicht ist er ein fanatischer Moralist. Oder er war in Carina verliebt. Immerhin hat er sich sie für den Schluss aufgehoben.«
»Wenn schon Schluss ist. Was, wenn er nicht aufhört zu morden? Dann passt diese Theorie nicht.«
»Es gibt ja noch mehr Möglichkeiten. Zum Beispiel diese: Die vier Opfer und der Mörder waren ursprünglich Komplizen. Haben gemeinsam etwas durchgezogen, vielleicht einen Versicherungsbetrug oder so. Und dann haben die anderen den Mörder über den Tisch gezogen. Und der sieht rot.«
»Nee, das glaube ich nicht. Da hat niemand einfach rot gesehen, weil er übers Ohr gehauen wurde. Dafür steckt da viel zu viel kühle Berechnung drin. Der Mörder muss das Ganze bis ins Detail akribisch geplant haben. Der war nicht einfach nur wütend. Der hat vier Menschen eiskalt hingerichtet und ist vermutlich fest davon überzeugt, dass sie es auch verdient haben. In seinen Augen müssen die etwas ganz Furchtbares verbrochen haben.«
*
»Ich habe sie heute gesehen.« Benedikt Simons stocherte auf seinem Teller herum. Er hatte keinen Appetit. Eine Schande eigentlich. Vermutlich schmeckte die Pasta hervorragend. Penne mit Pfifferlingen und Käsesoße. Marc hatte in letzter Zeit ein Faible für Haute Cuisine entwickelt und sich inzwischen zu einem recht passablen Koch gemausert. Vor drei Jahren, als Benedikt die kleine Massagepraxis eröffnet hatte, hatte Marc exklusive Häppchen serviert, alle selbst zubereitet. Die Gäste waren begeistert gewesen, und Marc war stolz wie ein Pfau mit seinen Platten umherstolziert. Jetzt sah er irritiert von seinem Teller auf.
»Wen?«
» Jule . Und Natalie.«
»Und? Wie ist es gelaufen?« Marc schaufelte weiter Nudeln in sich hinein, ein Streifen geschmolzener Käse hing an seinem Kinn. Benedikt sah rasch aus dem Fenster. Der Anblick brachte seine Magensäure in Aufruhr.
»Sie kamen aus dem Haus. Natalie hat Jule zum Kindergarten
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