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Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)

Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Katzenbach: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Morf
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nickte. Stefan sieht es richtig, dachte sie. Ich
hätte mich nicht so verunsichern lassen dürfen von der alten Kösch.
    »Ja, bring
sie mit, morgen oder übermorgen Nachmittag.«
     
    »Mama, was ist ein Wechselbalg?«
Lotte war auf dem Heimweg von der Spielgruppe ungewöhnlich still. Sie ging neben
der Mutter her, die den Kinderwagen schob, ohne wie sonst die ganze Zeit zu plappern
und bald hierhin, bald dorthin zu springen.
    Nadine erschrak.
»Wie kommst du denn darauf?«
    »Melanie
hat behauptet, ihre Mutter habe gesagt, Luzia sei ein Wechselbalg.«
    Am Vortag
waren Lottes Freunde, Melanie, Sabrina und Mirko, gekommen. Nadine hatte drei Sorten
Plätzchen gebacken, heiße Schokolade gemacht und verschiedene Obstsäfte gekauft.
Betreibe ich diesen Aufwand, um die Kinder günstig zu stimmen?, hatte sie sich gefragt.
Versuche ich, ein paar Vierjährige zu bestechen? Nein, Quatsch, ich will einfach,
dass sie einen schönen Nachmittag haben, und mir macht das Spaß. Und es war ein
schöner Nachmittag gewesen. Andächtig hatten die drei um Luzias Bettchen gestanden,
hatten gekichert über ihr Glucksen und Blinzeln und die winzigen Fingerchen und
Öhrchen bewundert.
    »Darf ich
sie mal halten?«, hatte Melanie gebeten.
    Nadine hatte
die drei aufs Sofa gesetzt und ihnen nacheinander das Baby in die Arme gelegt. Luzia
hatte sich brav gehalten, mit großen Augen in die fremden Gesichter geschaut und
sich streicheln lassen.
    »Es sieht
aber ganz normal aus«, hatte Mirko bemerkt.
    Nadine hatte
sie am Morgen rasiert. Jetzt wurde sie mutig.
    »Schau«,
hatte sie erklärt und den Ärmel des Babyhemdchens aufgerollt. »Es hat halt Härchen
am Körper. Es ist so auf die Welt gekommen, aber sonst ist es ein ganz normales,
gesundes Kindchen. Es wird gehen lernen und sprechen und in die Spielgruppe gehen,
genau wie ihr.«
    Die Kinder
waren fasziniert gewesen, hatten vorsichtig über Luzias Arm gestrichen und unbefangen
weitergefragt; gespannt beim Wickeln zugeschaut.
    »Wenn sie
im Kindertheater mitmacht, kann sie einen Bären spielen, ohne ein Kostüm anzuziehen.
Das ist praktisch«, hatte Mirko bemerkt.
    »Genau«,
war Sabrina eingefallen, »und im Winter friert sie weniger.«
    »Wenn die
Haare länger wären, könnte man ihr Zöpfchen flechten«, hatte Melanie gemeint.
    Dann hatte
Nadine das Baby schlafen gelegt, und die Kinder waren über die heiße Schokolade
und die Plätzchen hergefallen. Ein schöner Nachmittag. Nadine war abends sehr erleichtert
gewesen.
    Und jetzt
das. Nadine spürte, wie ihr Herz wieder heftig zu schlagen begann, in ihrem Magen
krampfte sich etwas zusammen.
    »Sag, Mama.«
    Wechselbalg.
    »Ist das
etwas Schlechtes?«
    Wechselbalg.
    »Melanie
hat mich ausgelacht. Sie sagt, Luzia könne gar nicht zaubern und auch nicht fliegen.«
    Nadine riss
sich zusammen. »Ein Wechselbalg ist eine Figur aus den Märchen. Das gibt es in Wirklichkeit
nicht. Du musst nicht auf Melanie hören. Aber du sollst auch nicht herumerzählen,
dass Luzia alle möglichen Dinge kann. Sie ist ein ganz normales kleines Mädchen.
Sie kann so wenig zaubern oder fliegen wie du.«
    »Aber warum
hat Melanies Mutter das gesagt?«
    »Ich habe
keine Ahnung. Sie kennt Luzia ja gar nicht.«
    Nadine fror.
Wechselbalg. Das Wort fraß sich in sie hinein. Kein richtiger Mensch. Von bösen
Geistern untergeschoben. Ein Kind des Teufels. Der Heimweg von zehn Minuten schien
Nadine endlos lang. Als sich endlich die Wohnungstür hinter ihnen schloss, kam es
ihr vor, als sei sie einer großen Bedrohung entgangen. Eigentlich hatte sie noch
einkaufen wollen. Aber jetzt hatte sie nur noch den Wunsch, zu Hause zu sein, alle
Feindseligkeit auszusperren.
    »Mama, bist
du traurig, dass Melanie das gesagt hat?«
    Sie musste
sich unbedingt besser zusammennehmen. Sie durfte sich nichts anmerken lassen.
    »Aber nein,
Kind, es ist gar nicht wichtig, was Melanie sagt. Ich bin bloß ein bisschen müde.
Was wollen wir zu Mittag essen? Hast du Lust auf Fischstäbchen?«
    Später spielte
Lotte in ihrem Zimmer. Nadine wickelte den Säugling. Wechselbalg. Wechselbalg. Tränen
stiegen in ihr hoch und eine Welle von Angst. Sie betrachtete das Kind eine Weile
und legte es dann in sein Bett.
    Sie hörte,
wie Lotte sich in ihrem Zimmer mit Katze Mischa unterhielt. »Du bist kein Wechselbalg,
Mischa«, sagte sie in strengem Ton. »Du bist ein ganz normales kleines Büsi. Du
kannst nur miauen. Ich sage dir ein Geheimnis: Luzia ist ein Elfenbaby. Aber zu
Mama darfst du das nicht

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