Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)
Pelzchen golden.«
Frau Kösch
warf ihr einen schockierten Blick zu. »So, so, zaubern oder fliegen«, meinte sie
kopfschüttelnd, gab Nadine einen vorwurfsvollen Blick und verabschiedete sich rasch.
»Die Frau
Kösch ist dumm«, empörte sich das Mädchen.
»Ach, Lotti«,
sagte Nadine müde. »Deine Ideen behältst du besser für dich.«
»Warum?«,
widersprach die Kleine. »In der Spielgruppe habe ich es auch erzählt. Sabrina ist
ganz neidisch, dass sie nur ein gewöhnliches Brüderchen hat, und Melanie und Mirko
möchten Luzia unbedingt besuchen kommen. Sie dürfen doch, oder?«
»Ja, wir
werden schauen«, gab die Mutter unbestimmt zur Antwort. Die Worte der Nachbarin
kreisten in ihrem Kopf. Armes Würmchen. In ein Heim geben. Der liebe Gott. Und dieser
Blick. Gewöhn dich dran, sagte sie sich streng. Besser wird es nicht werden. Sie
lenkte den Kinderwagen zum Spazierweg, der den Katzenbach entlangführte. »Schau,
da hat es schon Krokusse«, sagte sie zu Lotte. Aber ihr Herz klopfte immer noch
heftig, und ihre Knie zitterten.
Abends überfiel Lotte den Vater
mit der Geschichte, kaum war er heimgekommen. »Denk dir, die Frau Kösch hat gesagt,
Luzia müsse in ein Heim, und der liebe Gott habe sie nicht lieb!«, rief sie, immer
noch aufgebracht. »Nicht wahr, das stimmt doch überhaupt nicht!«
Nadine schob
rasch ein paar Erklärungen nach. »Nein, Lotti«, bestätigte Stefan, »das stimmt nicht.
Mach dir keine Sorgen. Frau Kösch weiß es halt nicht besser. Sie hat ja keine Kinder.«
Lotte ließ
sich beruhigen. Stefan ging ins Bad und schloss die Tür hinter sich ab. Er setzte
sich auf den Wannenrand und biss sich auf die Lippen. Natürlich, das musste ja kommen.
Genau damit mussten sie rechnen, mit solchen Reaktionen. Nicht nur von der neugierigen,
taktlosen Nachbarin, dieser alten Schachtel. Auch andere würden das sagen. Oder,
die Kultivierteren, Aufgeschlosseneren, die wussten, was sich gehört, würden es
zumindest denken, während ihnen höfliche Lügen über die Lippen kämen. Wie sollten
sie das bloß schaffen? Nein, wie sollte er es schaffen? Nadine konnte es. Sie war
stark. Muttergefühle, dachte er, Mutterinstinkt. Frauen konnten das. Ihre Kinder
lieben und verteidigen. Natürlich war sie anfangs verunsichert und aufgewühlt gewesen.
Geschwächt von der Geburt. Aber dann wurde sie einfach zu Luzias Mutter. Er bewunderte
sie. Wie zart sie sich um das Baby kümmerte. Diese hässliche Behaarung schien sie
gar nicht mehr wahrzunehmen. Während er – Stefan schämte sich. Ob es ihr nicht auffiel,
wie rasch er sich am Morgen verabschiedete, dass er oft etwas länger im Büro blieb?
Er flüchtete, er floh vor diesem Kind. Er zwang sich, es aufzunehmen, ein wenig
herumzutragen. Er stand jede zweite Nacht pflichtbewusst auf, wenn es schrie, und
gab ihm das Fläschchen. Manchmal wickelte und badete er es abends oder am Wochenende.
Aber jedes einzelne Mal musste er seinen Widerwillen überwinden. Das durfte Nadine
nie erfahren. Im Geschäft hatte er, wie sie es zusammen vereinbart hatten, gesagt,
dass mit dem Baby etwas nicht ganz in Ordnung war, ohne in Details zu gehen. Die
Arbeitskollegen mieden seither das Thema, fragten weder nach Größe noch Gewicht
oder irgendwelchen Fortschritten, und das war ihm recht. Sie mussten das durchziehen,
Nadine und er. Und er musste die Fassade wahren. Koste es, was es wolle. In drei
Wochen kam seine Mutter zu Besuch. Vielleicht war es ganz gut so. Dann war das Schlimmste
erst mal geschafft.
Es klopfte
an die Badezimmertür. »Das Abendessen ist bereit!«, rief Nadine.
»Komme gleich.«
Stefan betätigte die Klospülung, ließ etwas Wasser laufen, dann ging er zu den anderen.
»Es gibt
Milchreis mit Erdbeerkompott«, meldete Lotte vergnügt. Stefan verzog das Gesicht.
»Natürlich
nicht für dich, nur für Lotte«, beruhigte ihn Nadine. »Für uns habe ich einen Risotto
mit Pilzen gemacht.«
»Super.«
Stefan atmete durch. Kein Grund, wehleidig zu sein, sagte er sich, entspannt vom
Duft und der Wärme des Essens. Ich habe eine gute Frau, eine wunderbare Tochter,
eine gesunde zweite Tochter. Es wird schon gehen. Ich werde mich gewöhnen, die Freunde,
die Verwandten werden sich gewöhnen, man wird etwas Kosmetisches machen können.
»Selbstverständlich
dürfen deine Freundinnen Luzia besuchen kommen«, versicherte er Lotte. Und zu Nadine
gewandt, auf Französisch, damit es die Kleine nicht verstand: »Kinder tun ja nicht
so blöd wie Erwachsene.« Nadine
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