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Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)

Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Katzenbach: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Morf
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die Katzenbachstrasse. Du kannst die erste Befragung der Mutter übernehmen.
Ist vielleicht besser, wenn eine Frau das macht.«
    Als Streiff
sich wieder dem Obduktionssaal zuwandte, kam der Vater des Kindes ihm entgegen.
Er weinte. »Ja, sie ist es«, murmelte er. Er grub in seiner Jackentasche nach einer
Packung Papiertaschentücher, nestelte eines heraus und fuhr sich damit über die
Augen.
    »Dann fahren
wir jetzt zu Ihnen nach Hause«, schlug Streiff vor. »Wir müssen Ihnen und Ihrer
Frau einige Fragen stellen. Fühlen Sie sich in der Lage zu antworten?«
    »Ja«, sagte
Attinger zögernd. »Aber meine Frau, ich weiß nicht, wie sie es aufnehmen wird. Ich
habe ihr ja gesagt, das aufgefundene Baby sei im Spital.«
    »Das war
in dem Moment sicher richtig«, beruhigte ihn Streiff. »Soll ich einen Polizeipsychologen
herbestellen?«
    »Nein«,
wehrte der Mann ab. »Ich glaube nicht, dass sie das möchte.«
    Sie setzten
sich ins Auto, Streiff startete den Motor, bog in die Zürichbergstrasse und dann
in die Rämistrasse ein. Er sah noch, dass Zita Elmer auf den Parkplatz fuhr.
     
    Die Polizistin betrat das Institut
für Rechtsmedizin und meldete sich mit ihrem Anliegen bei Katja Keller. »Das ist
eigentlich nicht üblich«, wandte diese ein.
    Elmer zuckte
die Schultern. »Streiff meinte, es wäre nötig.«
    Keller nickte.
»Mag sein. Also, kommen Sie.«
    Dann stand
Zita Elmer, vierunddreißig Jahre alt, ursprünglich Krankenschwester, jetzt Polizistin,
verheiratet, Mutter eines zweijährigen Sohnes, vor der winzigen Babyleiche. Streiff
hatte ihr das Aussehen des Kindes beschrieben. Trotzdem wich sie erschrocken zurück.
»Ist das wirklich ein normales Kind?«, entfuhr es ihr. »Wie ist denn so etwas möglich?«
    »Ambras-Syndrom«,
erklärte Keller knapp. »Ist sehr selten. Aber solche Menschen sind, abgesehen von
der dichten Behaarung am ganzen Körper, völlig normal.«
    »Hat die
Mutter das gewusst vor der Geburt?«, wollte Elmer wissen. »War sie darauf gefasst?«
    Keller schüttelte
den Kopf. Die Polizistin starrte sie entgeistert an. »Was muss das für ein Schock
gewesen sein!«, rief sie aus. »Haben Sie Kinder?«
    »Ja«, sagte
die Rechtsmedizinerin.
    Die beiden
Frauen schauten sich einen Moment lang an. Sie dachten dasselbe, nämlich an den
Augenblick nach der Geburt, in dem ihnen zum ersten Mal ihr Neugeborenes in den
Arm gelegt worden war. »Das ist –«, stotterte Zita Elmer.
    »Ja, es
war bestimmt ein Schock«, bestätigte Katja Keller leise.
    Auf der
Fahrt nach Seebach hatte Zita Elmer noch immer das Bild des toten Babys vor Augen.
Jemand hatte dieses Kind aus dem Kinderwagen genommen und in den Katzenbach geworfen.
Es war die Mutter, dachte Elmer, es muss die Mutter gewesen sein. Sie wusste, dass
ihr Chef sie für solch voreilige Schlüsse rügen würde. Man musste unvoreingenommen
Beweise suchen, Fakten sammeln, sie auswerten und dann Schlüsse ziehen. Aber Streiff
hatte ja keine Ahnung, er hatte keine Kinder, er hatte es nie erlebt, sein Kind
zum ersten Mal zu sehen und zu halten. Was wäre gewesen, wenn Leo so entstellt auf
die Welt gekommen wäre, fragte sich Zita. Wie hätte ich reagiert? Wie hätte es Linus
aufgenommen? Wie würden wir es aushalten, mit einem solchen Kind zu leben? Es war
eine unheimliche Vorstellung, und sie dachte mit Dankbarkeit an die zarte Haut ihres
Jungen, an seine roten Wangen, an den stämmigen kleinen Körper, an den blonden Haarschopf;
er geriet nach ihr.
    Natürlich
kamen immer wieder behinderte Kinder zur Welt. Das war für die Eltern bestimmt auch
schlimm. Aber dann konnte man sagen, es hat Trisomie 21 oder es hat eine zerebrale
Lähmung oder es ist taub. Das waren alles Dinge, die bekannt waren, einen Namen
hatten, für die es Therapien gab. Aber das – eine Entstellung, von der niemand je
gehört hatte, die so – sie fand kein anderes Wort – hässlich, abstoßend war. Zita
Elmer war sicher, dass die Mutter diesen Anblick nicht mehr ausgehalten und das
Baby ertränkt hatte. Sie tat ihr leid, obwohl sie die Vorstellung auch entsetzte,
dass eine Mutter ihr Kind töten konnte.
     
    Streiff und Attinger näherten sich
dem Milchbuck. »Sie haben noch ein älteres Kind, nicht wahr?«, tastete Streiff sich
vor.
    »Ja, Lotte.
Sie wird bald fünf.« Er schwieg. Dann sagte er: »Ich mache mir Sorgen um Lotte.
Sie ist so still, so ängstlich.«
    »War sie
immer so?«
    »Nein, eigentlich
nicht. In den letzten paar Monaten …«
    »Könnte
das mit dem Geschwisterchen

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