Katzenbach: Kriminalroman (German Edition)
ihm gefiel es. Markus war wieder zufrieden mit seinem Leben. Er
war kein überschwänglicher Typ, aber er liebte Sibel sehr. Mit ihr hatte er seine
erste längere Beziehung. Er sah nicht besonders gut aus, wirkte oft unbeholfen und
war bei Frauen nie sehr gut angekommen. Aber mit Sibel hatte es geklappt. Sie war
zart und ernsthaft, hatte es im Leben auch nicht immer leicht gehabt. Sie verstand
ihn. Vor einigen Jahren hatte er sich von ihr abgewendet, weil er sich von ihr verraten
gefühlt hatte. Aber sie hatte nicht lockergelassen, und irgendwann hatte er begriffen,
dass sie damals nicht anders hatte handeln können. Dann war sie in einer schweren
Zeit unverbrüchlich zu ihm gestanden, und jetzt, seit einem halben Jahr, lebten
sie zusammen. Sibel hatte ihre Ausbildung abgeschlossen und eine Stelle, und er,
ja, er hatte jetzt auch einen Job. Vielleicht, hatte Markus schon sinniert, könnten
wir heiraten, vielleicht Kinder haben. Aber von dieser Idee hatte er noch nichts
verlauten lassen.
»Die Polizei
war heute bei uns«, sagte Sibel plötzlich.
»Die Polizei?
Warum denn?«
»Wegen dem
Baby, das im Katzenbach ertrunken ist. Es war bei Doktor Capeder in Behandlung.«
»Ach, dieses
Baby hast du gekannt? Du hast gar nichts davon gesagt.«
»Das wusste
ich ja erst gar nicht. Es stand ja nicht in der Zeitungsmeldung, dass es …« Sie
brach ab.
»Dass es
was?«
»Ich darf
das eigentlich nicht sagen, ich stehe ja unter Schweigepflicht. Es hat etwas, eine
Art Gendefekt.«
»Gendefekt?
Was ist das?«
»Ach, ist
ja egal. Es sieht einfach entstellt aus.«
»Aber warum
war denn die Polizei bei euch?«
»Der Polizist
hat mit Doktor Capeder gesprochen. Und ich, Markus, ich habe vielleicht etwas Dummes
gesagt.«
Die ganze
Zeit hatte sie ihn nicht angeschaut, hatte weitergearbeitet, Zwiebeln klein geschnitten
und in die Schüssel gegeben. Nun drehte sie sich zu ihm um. »Ich habe gesagt, dass
es gut war, dass das Kleine sterben durfte, weil, ach, Markus, du kannst dir nicht
vorstellen, wie es ausgesehen hat, einfach schrecklich, fast nicht wie ein menschliches
Baby.«
Er runzelte
die Stirn.
»Ja, und
dann ist die Sekretärin gekommen, das habe ich dir nicht gesagt, es ist Raffaela
Zweifel, die du doch damals auch gekannt hast, ich mag sie gar nicht, und sie hat
so eine blöde Bemerkung gemacht, von wegen, dass ich gestern, am Tag, an dem das
Baby getötet wurde, nicht zur Arbeit kam. Und sie hat angedeutet, ich könnte es
in den Katzenbach geworfen haben.«
Sie schwieg,
die Tränen standen ihr jetzt zuvorderst.
»Quatsch«,
brummte Markus.
»Herr Streiff,
der gleiche Polizist wie damals, hat ihr sehr gut zugehört, und dann hat er mich
gefragt, ob du mich gepflegt hast. Aber du warst ja an der Arbeit. Verstehst du,
Markus, ich stehe unter Verdacht, das Baby getötet zu haben.«
Nun schlug
sie die Hände vors Gesicht und weinte. Markus fühlte sich hilflos und überfordert.
Was tut man mit einer weinenden Frau?
»Du glaubst
mir doch, dass ich es nicht war, oder?«, schluchzte sie.
»Ja, klar
glaube ich dir. Die können nicht einfach behaupten, dass du es getan hast. Das müssten
sie erst noch beweisen. Wenn du sagst, dass das Baby so hässlich war, hat es vielleicht
die Mutter getötet.«
»Ich weiß
nicht. Jedenfalls ging es ihr nicht gut.« Sie wandte sich wieder dem Abendessen
zu. Sie rührte eine Salatsauce an, die sie über Wurst und Käse gab. Dann deckte
sie den Tisch und schnitt Brot ab. »Magst du noch ein Bier?« Er nickte, und sie
stellte ihm eine neue Flasche hin. Sich selber schenkte sie ein Glas Cola ein.
Nach dem
Essen ging Markus ins Wohnzimmer hinüber, ließ sich aufs Sofa fallen, schaltete
den Fernseher ein und schaute sich ein Fussballmatch an. Sibel wusch das Geschirr
ab und brachte die Küche in Ordnung. Sie hatte Angst. Jeden Moment erwartete sie,
dass es an der Tür klingelte, dass Polizisten kommen und sie mitnehmen würden. Warum
habe ich das bloß gesagt?, quälte sie sich. Wie konnte ich so unvorsichtig sein?
Oder hat mich vielleicht doch jemand gesehen? Sie würde es auch Markus nicht sagen,
dass sie an jenem Tag tatsächlich am Katzenbach spazierengegangen war, weil sie
gehofft hatte, etwas frische Luft würde ihr guttun. Sie ging hinüber zu Markus und
kuschelte sich an ihn. Er legte, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen, den Arm
um sie.
Leon ließ die Tür hinter sich ins
Schloss fallen und legte die Mappe ab. Es war im Geschäft wieder einmal spät geworden,
fast halb
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