Katzendaemmerung
fünf großformatigen Farbfotografien verharrte mein Blick plötzlich. »Die Fotos …«, platzte es spontan aus mir heraus.
»Wie bitte? Was meinst du damit?« Mias Stimme klang höchst ungeduldig.
»Es geschah alles nur wegen der Fotos«, sagte ich bedächtig. Ganz allmählich begann sich, in meinem Kopf eine recht plausible Geschichte zusammenzufügen. Achs Sistrum konnte demzufolge nicht alle meine grauen Zellen zerquetscht haben. Beinahe lässig lehnte ich mich zurück und las in den Bildern wie in aufgeschlagenen Büchern.
Ich hatte an diesem Tag eher zufällig den Umschlag mit der merkwürdigen Aufschrift ›Kritischer Impressionismus‹ entdeckt. Erst als ich die neun DIN-A4-großen Farbabzüge betrachtete, erinnerte ich mich an meine damaligen künstlerischen Intentionen.
Ruinen in ständig wandelnden Lokalfarben. Festgelegte formale Elemente, deren Gesamteindruck allein durch das Wechselspiel des Lichts stark verändert wurde. Ein Vorhaben, das mir zweifellos gelungen war. Die Szenen reichten von ›brennend-heißer Einöde‹ über ›süßlich-morbide Steingalerien‹ bis hin zur ›kühlen, unheimlichen Nekropole‹. Und jedes Mal zeigte das Foto genau das gleiche Motiv.
Mir gefielen vor allem das erste und letzte Bild der Serie; im hellsten Licht oder auch in der Dunkelheit offenbarte die Trümmerlandschaft ihr wahres Wesen. Nur hier erkannte man, um welch eine bedrohliche, menschenfeindliche Wüste es sich tatsächlich handelte. In den diffusen Zwischenstadien, in denen sanfte Orange-, Bordeaux- und Violetttöne dominierten, machte das Gelände beinahe schon einen einladenden Eindruck. Es tarnte sich mit einer freundlichen Maske, um mögliche Opfer anzulocken.
Fünf der neun Bilder hatte ich als Dekoration und Impetus für meine Ideen an die Wand gehängt – und schon halfen sie mir bei meiner ersten kreativen Herausforderung.
»Siehst du die Bilder da?«, fragte ich Mia. »Gestern kam ich auf die Idee, noch weitere Serien und auch Einzelbilder in Angriff zu nehmen. Wenn wirklich einmal ein Projekt daraus werden soll, kann ich es kaum bei neun Bildern belassen, egal, wie gut sie auch sein mögen. Wenn du eine Galerie oder ein Buch füllen willst, musst du eben ein Konzept verkaufen, verstehst du?«
Mia nickte nur stumm.
»Nun, ich bin also auf dem Gelände herumgelaufen, auf der Suche nach interessanten Perspektiven. Als ich nichts Passendes fand, kam ich auf den spleenigen Einfall, einen leicht erhöhten Standpunkt zu wählen.« Ich fuchtelte nervös mit den Händen, um ihr zu zeigen, wie peinlich mir die ganze Sache war.
»Tja, was soll ich sagen? Ich kletterte auf eines dieser Trümmerhäuser, in dem noch der Rest eines ersten Stockwerks existierte. Es gab keine Treppe mehr, also nahm ich die Abkürzung über die Außenmauer. Ich war fast schon oben, als ein ganzes Wandstück unter meinen Füßen wegbrach.« Verlegen zuckte ich die Achseln. »Wie du siehst, landete ich nicht gerade auf Daunen.«
Obwohl ich glaubte, mich recht gut aus der Affäre gezogen zu haben, blieb ich vorerst noch skeptisch. Es war immer noch das Publikum, das über Triumph oder Niederlage eines Schauspielers entschied.
Mia kam um den Schreibtisch herum und setzte sich auf meinen Schoß. »Was stellt mein armer Liebling nur immer für Sachen an«, seufzte sie kopfschüttelnd. Zärtlich hauchte sie mir einen Kuss unter das rechte Auge. »Na, schon besser?«
Dieser Kuss war die Bestätigung. Verdammt , dachte ich stolz, du hast sie wirklich überzeugt! »Das ging mir etwas zu schnell, Schwester«, sagte ich mit einem Siegerlächeln. »Vielleicht könnten Sie die Behandlung noch einmal wiederholen?«
Mia erkundete daraufhin jeden Quadratzentimeter meines Gesichts mit ihren Lippen. »Und jetzt? Fühlen Sie jetzt etwas?«
Ihre stürmischen Liebkosungen erregten mich so stark, dass ich kaum die Schmerzen spürte, die mir ihr eng an mich geschmiegter Körper an anderen Stellen zufügte. Ich vergaß meine übrigen Verletzungen, meine Maskerade; meinen Zorn, ich war nur noch ein Süchtiger, der nach mehr verlangte. »Ja, schon ganz nett, Schwester, obwohl …«
Weiter ließ mich meine Therapeutin nicht kommen. Auf unnachahmliche Weise setzte sie nun auch ihre Zunge ein. Wie eine Katze (konnte man bei ihr überhaupt wie sagen?) leckte sie mir über Stirn, Augen, Wangen und Hals. Eigentlich erübrigt es sich zu sagen, dass ich irgendwann während dieses Treibens meine Baseball-Kappe verlor. Zuerst bemerkte keiner etwas;
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