Katzenhöhle
Cognacbrauner Cordanzug, ein locker geschlungenes Baumwolltuch mit Lilienmuster über einem grobgestricktem Pullover, ein Glas Sherry in der Hand als Digestif nach dem Frühstück. Fast hätte Lilian erwartet, einen großen Jagdhund an seine Füße gekuschelt zu sehen und ein wärmendes Feuer in einem imaginären Kamin knistern zu hören. So stellte sie sich einen angelsächsischen Grafen vor, der auf seinem Landsitz in den heimatlichen Hochlanden ein beschauliches Leben führte. Klischee über Klischee. Gut, dass sie nur einen schottischen Ballettintendanten auf der Regensburger Insel vor sich hatte.
»Guten Morgen, Herr Ormond.«
Er sah auf und erkannte Lilian sofort. Getreu der Vorstellung in Lilians Kopf stand er auf, bot ihr einen Stuhl an, bestellte für sie ein Glas Sherry – nicht einmal das übliche »Danke, ich bin im Dienst« kam ihr über die Lippen, denn wer würde ernsthaft eine solche Einladung ausschlagen? – und musterte sie dann prüfend, aber nicht ohne Wohlwollen.
»In der Zeitung steht nichts über Miras Tod.«
»Die Staatsanwaltschaft hat sich die Presseauskunft vorbehalten. Bei einem so medienwirksamen Todesfall ist das normal.«
»Verstehe. Hab ja selbst oft genug mit diesen Pressefuzzis zu tun.«
Lilian wunderte sich über seine Wortwahl. Zum einen war das kein Ausdruck, der jedem Ausländer bekannt sein dürfte, auch wenn er so gut Deutsch sprach wie Cedric Ormond. Zum anderen hätte Lilian eine feinere Ausdrucksweise erwartet. Oder redete man in schottischen Adelskreisen so?
»Heute Nachmittag ist eine Pressekonferenz angesetzt«, sagte sie unverbindlich.
Der Sherry kam. Prompter Service. Beeindruckt nippte Lilian von der schimmernden Flüssigkeit, die den sanften Kerzenschein reflektierte. Auf einmal wurde ihr warm, das erste Mal seit vier Wochen. Kein Wunder, Sherry auf nüchternen Magen hatte sie noch nie vertragen.
»Ich wollte mich bei Ihnen entschuldigen.«
Er hob die dunklen Augenbrauen. »Wofür?«
Sie trank noch einen Schluck. So würde es leichter gehen, denn sie hasste Entschuldigungen. »Dafür, dass ich Ihnen diesen grässlichen Anblick gestern Abend nicht erspart habe.«
Ein Lächeln. Es war traurig und amüsiert zugleich. Noch etwas anderes schwang mit, aber was bloß? »Dafür brauchen Sie sich nicht zu entschuldigen, im Gegenteil. Sie haben mir sehr geholfen.«
»Wie soll ich das verstehen?«
Die Lichter fingen an, sich vor Lilians Augen zu drehen. Warum nur hatte sie den Sherry nicht abgelehnt? Andrerseits ergab das ein schönes Muster, wie sich die flackernden Kerzen in den Fensterscheiben spiegelten, wie sie sich drehten und drehten und drehten …
»Wenn Sie Mira gekannt hätten, wüssten Sie, wovon ich rede. Eine solche Frau stirbt nicht einfach so. Vielleicht stürzt die Mailänder Scala ein, wenn sie auf der Bühne steht. Oder die Concorde fällt bei ihrem letzten Flug in den Atlantik, wenn sie mit an Bord ist. Aber eine Frau wie Mira wird doch nicht von einem Einbrecher erschlagen, der die Skulpturen ihrer Schwester rauben will – nur weil sie zufällig an deren Stelle auf dem Sofa sitzt!« Ein raues, fast wütendes Schnauben. »Wenn ich Miras Leiche nicht gesehen hätte, hätte ich niemals geglaubt, dass sie tot ist.« Das seltsame Lächeln erschien wieder. »Dann wüsste ich immer noch nicht, dass ich endlich frei bin.«
Jetzt konnte Lilian diese feine Nuance in seinem Gesicht deuten: Es war Dankbarkeit.
»Eine ungewöhnliche Bemerkung. Immerhin wurde Ihre Lebensgefährtin getötet.«
Er nickte langsam. »Ich habe sie geliebt wie keinen anderen Menschen. Aber wir waren uns zu ähnlich, jeder wollte der Stärkere sein. Ich rede nicht von Miras Vorwürfen, wenn sie wieder was davon mitbekam, dass ich gerade mit einer anderen im Bett gewesen war. Sie genoss es, mich dann so richtig fertig zu machen. Im Grunde aber war es ihr egal.« Auf einmal fingen seine Augen zu blitzen an. Sie waren fast so dunkel wie die Augenbrauen. »Doch es war ihr nicht egal, wenn ich ihr auf der Bühne Anweisungen gab. ›Du schränkst meine Freiheit ein, du erdrückst meine Spontaneität, du beschneidest meine Energie!‹ Diesen Mist musste ich mir dauernd anhören. Dabei war ich der Intendant – und sie war mein Werkzeug, um meine Ideen umzusetzen!« Sein Gesicht leuchtete vor Erregung. Die Haare wirbelten um seine Schultern, so heftig waren seine Bewegungen.
»Heißt das, dass Sie froh sind, dass Mira tot ist?«
»Ja, das bin ich. Sonst wären wir nie voneinander
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