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Katzenhöhle

Katzenhöhle

Titel: Katzenhöhle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegunde Artmeier
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rauchige, helle Stimme und die zarten Klänge der Musik umgaben sie. Jetzt fiel ihr auch der Name des Sängers wieder ein: Pino Daniele. Einzelne Worte drangen an ihr Ohr: »La vita passa in fretta« – Das Leben vergeht schnell … So schnell, ja – so schnell. Für Mira, deren Leuchtkraft im Bruchteil einer Sekunde zerstört worden war. Für so viele andere, deren Schicksal Lilian oft noch im Schlaf verfolgte. Für sie selbst, die sie nur damit beschäftigt war, die verschlungenen Wege im Leben dieser Menschen zu erforschen, während ihr eigenes ungenutzt an ihr vorüberzog. Wenn doch wenigstens dieser Tanz ewig dauern könnte, diese Geborgenheit und Nähe. Es tat so gut …
    »Und – was ist? Musst du nicht doch gleich wieder weg? War da nicht noch ein Termin, den du vergessen hattest?«
    Seine Stimme neckte sie. Oder hatte er nur Angst, dass sie das Versprechen nicht halten würde?
    »Hättest du das gern?«, fragte sie leise.
    »Du weißt, was ich gerne hätte.«
    Das Gleiche wie sie. Aber was wäre morgen? In ein paar Wochen? Würde er sie auch so verletzen wie ihr ehemals strahlender Held Stefan, der sie sogar bei der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter im Stich gelassen hatte? Wenn Viktor nicht bei ihr gewesen wäre, hätte sie alles allein durchstehen müssen. Konnte sie David trauen? Sich endlich wieder fallen lassen?
    »Lauf nicht immer davon, Lilian.« Er drückte sie noch enger an sich, seine Lippen berührten ihre Haare. »Du riechst gut – nach Regen und frischer Luft.«
    Das musste von ihrem Spaziergang auf der Jahninsel kommen. Mit einem Lord, der keiner war, an einem Wintertag, der auch keiner mehr gewesen war. Und von den paar Schritten durch ihre Vergangenheit mitten in Schwabing.
    »Ich weiß, dass du gar nicht vor mir davon läufst, Lilian. Auch wenn’s so aussieht. Eigentlich läufst du vor dir selber davon, du hast Angst vor deinen Gefühlen. Aber das brauchst du nicht – vertrau ihnen. Vertrau dir selbst.«
    Er hatte so leise gesprochen, dass sie ihn kaum verstanden hatte. Jetzt ließ er ihre Hand los und umfing sie mit beiden Armen. Der Tanz wich einem Schaukeln und Sich-Herantasten, zarten Berührungen auf ihrem Rücken, die immer drängender wurden.
    »Sag mal, was hast du vor? Willst du mich etwa verführen?«
    »Klar – was denkst denn du? Ich bin heute vierzig Jahre alt geworden. Wie lang soll ich dich noch anschmachten? Wo mir nur noch ein halbes Leben bleibt.«
    Er fing an sie zu küssen, zuerst ganz vorsichtig, dann immer wilder.
    »Das ist gegen die Regeln. Wenn hier einer jemanden verführt, dann bin ich das.«
    »Dann häng dich mal rein, Frau Kriminaloberkommissarin.«
    Nichts leichter als das. Was er konnte, konnte sie schon lange.

9
    Die Frau hatte geweint. Ihre Augen waren rot und verquollen, die Nase lief unentwegt. Helmut reichte ihr ein Taschentuch. Zuerst sah sie ihn so an, als ob sie nicht wüsste, was sie damit sollte. Dann presste sie es wortlos auf Mund und Nase und stierte vor sich hin, während wieder Tränen über ihr Gesicht strömten.
    »Wir lassen Sie jetzt in Frieden, Frau Zolnay. Es tut mir Leid, dass wir Ihnen diese unangenehmen Fragen stellen mussten.« Helmut sah ehrlich zerknirscht aus. Der Schmerz von Miras Mutter ging ihm nahe.
    »Sie wollten doch noch Miras Zimmer anschauen«, warf Herr Zolnay zaghaft ein.
    Lilian stand auf. »Komm, Helmut. Das machen wir jetzt gleich und dann fahren wir. Entschuldigen Sie die Störung, Frau Zolnay.«
    Doch die leidgeprüfte Frau hob die Hand. »Geh du mit der Dame nach oben, Werner. Der Herr Kommissar kann solange bei mir bleiben. Holen Sie mir ein Glas Wasser aus der Küche?«
    Ihre Stimme duldete keinen Widerspruch. Altes, adeliges Blut aus dem Osten floss in ihren Adern, wie sie schon mehrmals betont hatte. Sie war eine geborene ›von Scheidt‹. Leider hatte ihre geliebte Tochter Mira nur den zweiten Teil des ehrenwerten Mädchennamens als Künstlernamen übernommen. Aber ansonsten hatte sie alle Erwartungen der Mutter erfüllt: Aus der zarten und hochbegabten Ballettelevin war eine berühmte, in aller Welt gefeierte Tänzerin geworden.
    Werner Zolnay schob Lilian auf den Gang und machte die Tür hinter sich zu. Sie gingen nach oben. In dem engen Treppenhaus roch es nach Bohnerwachs. Diesen beißenden Geruch hatte Lilian lange nicht mehr in der Nase gehabt. Er erinnerte sie an die Zeit, nachdem ihre Mutter gestorben war. Damals hatten sich Haushälterinnen und Zugehfrauen die Klinke in die Hand gegeben, um den

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