Katzenhöhle
eigenes Leben, ein inneres Strahlen.
»Und dann die blöden Fragen, woher ich meine Ideen nehme.«
Billy kam aus der Küche, drückte ihr eine dampfende Tasse in die Hand und redete einfach weiter, als beschäftigte ihn dieses Thema unentwegt.
»Woher wohl? Ich kuck mich um, nehme Eindrücke in mir auf, entwickle sie weiter, vertraue meinen Träumen und Vorstellungen. So wie das Künstler eben machen. Und wofür? Dafür, dass diese Spießer dann sagen, der ist total durchgedreht, der macht perverses Zeug, soll das irgendwie real sein? Natürlich nicht, meine Werke sind Ausdruck ihrer selbst! Wo komm ich denn hin, wenn ich nur das mache, was wirklich existiert? Wenn ich meine Phantasie eingrenze, mich selbst im Kopf zensiere, mir dieses letzte Stückchen Freiheit mit eigenen Händen raube? Dann wird alles, was ich versuche, genauso langweilig, verlogen, schal wie das andere, was es ohnehin schon gibt. Und als Bildhauer nimmt mich in der Szene auch niemand ernst, denn der braucht ja dauernd neue Ideen, am besten jeden Tag hunderte!«
Seine Zerrissenheit war spürbar, fast schien seine innere Spannung die Luft aufzuladen. Auch seine Worte gruben sich in Lilian fest, vor allem dieses letzte Stückchen Freiheit. Das hatte auch sie damals nicht völlig aufgeben wollen, als sie mit ihrem falschen Glauben an die bedingungslose Liebe zu Stefan ihr eigenes Leben Schritt für Schritt in den Hintergrund gedrängt hatte. Als sie die freien Momente, die sie selbst so dringend nötig hatte, für die Nähe zu ihm immer mehr geopfert hatte. Sie war zwar keine Künstlerin, aber diesen Konflikt konnte sie nachvollziehen – der Anspruch von außen im Kampf mit den Bedürfnissen im Inneren. Seltsam, wie diese Abstecher nach München ihr halfen, die eigene Vergangenheit in einem anderen Licht zu sehen. Und auch, sich über ihre Zukunft klar zu werden. David war ein wichtiger Teil davon, so hoffte sie. Aber er war nicht das Zentrum. Sie war keine zwanzig mehr, sie war alt genug, um selbst Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Es war unfair, ausgerechnet David diese Last aufzubürden, als sei er die Lösung für alles.
Nach dieser Eruption hüllte sich Billy in düsteres Schweigen. Er war so in sich versunken, dass er sogar die Bierflasche vergaß.
»Sie müssen doch ziemlich neidisch auf Miras Erfolg gewesen sein«, fing Lilian unbarmherzig an. »Sie strampeln sich ab, können von Ihrer Kunst nicht leben, haben gleichzeitig ein großes Talent. Und Mira zieht von einer großen Bühne zur nächsten und vergisst dabei alle alten Freunde von früher.«
Er sagte nichts.
»Wann haben Sie Mira das letzte Mal gesehen?«
»Vor vier Jahren, als sie auf und davon ist, in die große, weite Welt. Nach Mailand ist sie damals. Aber das hab ich Ihnen schon neulich gesagt, als Sie mit Ihrem Kollegen da waren.«
»Und wie war das mit Lena? War sie nicht eifersüchtig auf Miras Ansehen? Wo sie doch auch so gerne Balletttänzerin geworden wäre wie die berühmte Schwester?«
Wieder Schweigen.
»Warum hatten die Zwillinge keinen Kontakt mehr? Fünf Jahre sind eine lange Zeit.«
»Mira hat sich damals sehr verändert«, sagte er endlich. »Ich hab das am Anfang nicht gemerkt. Der Erfolg ist ihr zu Kopf gestiegen. Lena hat sie noch zwei-, dreimal in München besucht. Aber die beiden haben sich dauernd gestritten. Mira hat ewig auf Lena herum gehackt, dass sie nichts aus ihrem Leben macht, bloß in Regensburg versauern will. Dabei ging’s Lena damals ziemlich dreckig. Sie war mit der Sprachenschule fertig, fand aber keinen Job, weil sie sich nie richtig verkaufen konnte. Dann war sie eine Zeit lang arbeitslos, das machte ihr zu schaffen. Sie brauchte dringend Geld. Gott sei Dank, dass sie dann diese Stelle bekam. Das war zwar ’ne üble Sache, aber gut für sie.«
»Wie meinen Sie das?«
»Die Stelle war noch gar nicht richtig ausgeschrieben, Lena hat sich einfach blind beworben. Und dann haben die doch glatt jemanden für den Export gesucht, weil die eigentliche Mitarbeiterin Selbstmord begangen hat. Über Nacht, sozusagen.«
»Wie praktisch.«
»Also, hören Sie mal! Bei Ihnen klingt das so, als hätte Lena das eingefädelt, um an den Posten heranzukommen. Wie idiotisch! Dabei war der Chef, wie heißt der gleich noch mal …«
»Julian Herzog.«
»Genau. Also, der Herzog war heilfroh, dass er gleich wieder jemanden hatte. Hat Lena sofort eingestellt. Und das, obwohl sein eigener Chef eigentlich jemanden mit Erfahrung
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