Katzenhöhle
wollte.«
»Wie hat sich Lenas Vorgängerin umgebracht?«
»Die hat die Garage zugemacht, sich ins Auto gesetzt und den Motor laufen lassen. Könnt ich auch mal ausprobieren.«
»Warum hat sie das getan?«
»Was weiß ich, die kannte ich doch nicht. Ist das so wichtig?«
Das konnte Lilian im Moment nicht beantworten. Aber sie würde es herausfinden.
Das Tanzen hatte ihr gut getan. Nur sie, kein anderer im Studio, niemand, der ihr zusah, sie kritisierte, ständig verbesserte. Diese Augenblicke der Unabhängigkeit waren wichtig für Lena, da war sie endlich sie selbst. Sie trainierte zwar nicht oft allein, denn als Balletttänzerin brauchte sie jemanden, der sie korrigierte.
Aber wenn sie es tat, dann genoss sie es. Gut, dass Iwan so unkompliziert war. Vor ein paar Monaten hatte er ihr einfach einen Zweitschlüssel zum Tanzstudio in die Hand gedrückt und ihr als einzigen Rat mitgegeben, die CD-Anlage nach dem Tanzen bitte wieder auszumachen. Die lief sonst ewig, und niemand würde es bemerken. Lena hatte den Schlüssel eingesteckt und versprochen, darauf zu achten. Jedes Mal, wenn sie am Schluss ihre Sachen einpackte, vergewisserte sie sich also, dass die Anlage abgeschaltet und alle Lichter aus waren. Lena wollte keine unnötige Konfrontation mit Iwan, die ständigen Diskussionen mit ihm nervten sie ohnehin. Wann würde er endlich kapieren, dass sie bei keiner seiner spektakulären Aufführungen mitmachen würde? Sie wollte keine Hauptrolle im Stadttheater oder im Velodrom oder auf einer anderen bekannten Bühne. Sie wollte sich zwar nicht wieder auf die Suche nach einem neuen Studio machen müssen, bei Iwan gefiel es ihr. Aber wenn er nicht damit aufhörte, gäbe es keine andere Lösung. Das wäre dann der fünfte Neuanfang. Sie hatte die Nase voll von der ständigen Suche nach einem Balletttrainer, der ihren Wunsch, ohne allzu große öffentliche Aufmerksamkeit zu tanzen, akzeptierte.
Es regnete. Unablässig strömten dicke Tropfen über die Windschutzscheibe, die Scheibenwischer bewegten sich wie verrückt. Wie schnell sich das Wetter geändert hatte. Noch am Morgen hatte es geschneit und jetzt so was. Am Morgen … Da war sie neben ihm aufgewacht – unvorstellbar. Beinahe fassungslos hatte sie ihn minutenlang angestarrt, ihn sogar vorsichtig berührt: kein Traum. Nicht einmal jetzt konnte sie es glauben. Er war ihr einfach nachgegangen, hatte ihr in der Gasse vor dem Leeren Beutel nachgerufen. Auch Julian hatte dumm geschaut. Aber Cedric nahm sie nur an der Hand und sagte, er würde sie nach Hause bringen. Alles andere ergab sich von selbst. Sie verloren kein Wort über Mira. Und doch war sie immer dabei, nicht zwischen ihnen, aber mit ihnen. Als wollte sie ihnen etwas sagen. Oder als wollte sie Lena etwas sagen, etwas Wichtiges. Was bloß? Dass Lena ihr endlich alles zurückgezahlt hatte, mit gleicher Münze? Denn früher hatte Mira alle Freunde für sich beansprucht, egal ob nur vertraute oder sogar intime. Oder war es etwas anderes, was da unsichtbar im Raum schwebte, während Cedric sie umarmte?
Dann der altbekannte Drang, alleine zu sein. Lena wollte kein gequältes Lächeln auf seinem Gesicht sehen und keine durchschaubaren Lügen anhören müssen, warum er nicht zum Frühstück bleiben konnte. Also stahl sie sich davon, rauf zur Dachterrasse, tanzte und vergaß die Zeit. Irgendwann meldeten sich ihre Glieder und Gelenke, es war zu kalt. Und eine innere Stimme, die ihr sagte, dass sie nicht so alleine war, wie sie es gerne gewesen wäre. Doch ein Blick zur Tür bestätigte diesen Verdacht nicht. Auch vorher im Tanzstudio spürte sie wieder die gleichen Warnsignale. Litt sie seit neuestem an Verfolgungswahn?
Lena bog in die Tiefgarage ein. Praktisch, dass die Parkplätze für das Hotel überdacht waren. So würde sie nicht nass werden. Nach der körperlichen Anstrengung fror sie jetzt erbärmlich. Oben im Hotelzimmer würde sie gleich duschen und es sich dann mit einem Buch gemütlich machen – falls sie sich überhaupt darauf konzentrieren konnte.
Ihr gewohnter Parkplatz beim Aufgang war besetzt. Im hintersten Eck erwischte sie den letzten freien Stellplatz. Sie stieg aus, holte die Tasche mit der Tanzkleidung aus dem Kofferraum, hastete durch die leere Tiefgarage. Richtig unheimlich war es hier unten – der geeignete Ort, um jemandem aufzulauern. So wie im Fernsehen, in einem dieser miesen Sonntagabendkrimis, fehlte nur noch die entsprechend gruselige Musik. Gleich würde sie jemand aus
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