Katzenkrieg
sagte sie stockend: «Ich weiß nicht, ob es, wie man sagt, plötzlich zu einer Revolution kommt, aber wenn es eine gibt, wird man als erstes uns alle umbringen, wie es auch in Russland geschehen ist. Ich habe keine Angst, Tony. Aber ich will nicht sterben, ohne gelebt zu haben. Ich bin schon eine Frau – und was kenne ich vom Leben? Ein bisschen Arithmetik, die Zuflüsse des Ebro und die Verse von Bécquer. Ist das gerecht?»
«Och, es muss nicht unbedingt so kommen, wie du sagst …»
«Das kannst du nicht wissen, und ich ebenso wenig. Aber wenn es passiert … und es wird etwas Schreckliches passieren, da kannst du sicher sein, dann will ich nicht sterben wie die Heiligen aus dem Gebetbuch, mit der Märtyrerpalme in der einen Hand und dem Finger vorm Mund. Ich will keine Heilige sein, Tony, ich will ein ganz normaler Mensch sein, wissen, was das ist. Und wenn das Sünde ist, ist’s mir egal. Ich habe es nicht erfunden. Wie kann es schlecht sein, etwas zu wünschen, was Körper, Verstand und Seele von mir verlangen? Und wie kann ich einen Wunsch ignorieren, den ich unablässig in mir spüre, wenn auch noch Pater Rodrigo mit mir über nichts anderes spricht als über die Versuchungen des Fleisches?»
Anthony war hin- und hergerissen zwischen Angst und Skrupel. Eine Exfrau, eine Geliebte, einige Liebeleien und die perfekte Kenntnis der manieristischen Malerei hatten ihn gelehrt, den Zorn einer erbitterten Frau nicht zu unterschätzen, besonders in einer Situation wie der seinen. «Liebe Lilí, ich verstehe das Problem», sagte er und streichelte ihr mit sanfter Unlust die Hand, «aber ich bin nicht die geeignete Person, um es zu lösen.»
Kindlich-spielerisch wechselte Lilí von blinder Lüsternheit zu naiver Schlichtheit. «Im Gegenteil, Tony», sagte sie ernst, «keiner ist so geeignet wie du: Zuerst einmal bist du Protestant, und wenn das, was wir tun werden, Sünde ist, geht dich das nichts an.»
Anthony stand auf und trat ans Fenster. Die freie Moral der beiden Schwestern empörte ihn. Einige Stunden zuvor hatte Paquita zu einer ähnlichen Spitzfindigkeit Zuflucht genommen, und obwohl sie danach ihre Schuld eingestanden hatte, zeugte die moralische Haarspalterei bei beiden von ihrem Scharfsinn und einer von Anfang an missratenen Erziehung. Ohne offensichtlichen Grund stimmte ihn diese Überlegung traurig. «Das Argument ist unsinnig», sagte er widerwillig.
Lilí wurde ernst. «Unsinnig nicht, Tony, es ist nur ein Vorwand. Schon lange habe ich beschlossen, diesen Schritt zu tun. Und ich tue ihn nicht blindlings: Ich habe die Erwachsenen oft über dieses Thema reden hören, und auf den Gütern meines Vaters habe ich die Tiere gesehen … Aber einfach so konnte ich es nicht tun. Dann bist du erschienen. Ich meine nicht den jetzigen Augenblick, sondern den ersten Tag, als du hergekommen bist. Sowie ich dich gesehen habe, allein in der Halle, wie du verwirrt dieses schreckliche Bild betrachtet hast, da habe ich mir gesagt: Der ist es, der Himmel schickt ihn mir. Und seither habe ich dir meine Gefühle und Absichten klarzumachen versucht. Ohne Ergebnis: du verstehst nichts. Du bist dumm. Ich hab dich trotzdem lieb, aber du bist dumm. Ich hatte es schon abgehakt. Und heute Nachmittag spült dich das Schicksal mit vorgehaltener Flinte unerwartet in mein Schlafzimmer. Wie soll ich das interpretieren?»
«Gar nicht», sagte er knapp.
Er schob den Vorhang etwas beiseite und spähte in den Garten hinaus. Vielleicht konnte er ohne allzu große Gefahr vom Balkon springen, er war nicht sehr hoch und das Licht schwach. Dann würde er zur Mauer spurten, hochklettern, und schon wäre er auf der Straße. Dort würde er bis zum Paseo de la Castellana laufen – der war zu dieser Stunde sehr begangen, und man würde nicht wagen, ihn vor Zeugen zu erschießen. Oder vielleicht doch. Aber wenn er hierblieb, fände man ihn über kurz oder lang. Und wenn man ihn auch noch bei Lilí fand, dann war die Chance, mit heiler Haut davonzukommen, nicht sehr groß.
Während er diese Gedanken spann, öffnete er behutsam das Fenster, um die Höhe abzuschätzen. Direkt unter sich hörte er Pater Rodrigos barsches Organ. «… und nicht vom geraden Weg abkommen. Gott hat es mir offenbart, und Sie hatten eine Entscheidung getroffen, Herr Herzog. Der steile Pfad …»
Die Stimme des Herzogs von Igualada war ein leidendes, kaum verständliches Murmeln. «Wo wird uns dieser Pfad hinführen, Pater? Steil und dornig heißt noch lange nicht
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