Katzenmond
Vetter darauf, ihm die Hand zu zerkratzen.
Nach einem kurzen Überschlag stellte Liebermann den Teller wieder auf seinen Platz und überquerte die Straße in Richtung seiner eigenen Wohnung. Miri würde seine Abwesenheit, wenn überhaupt, erst morgen früh bemerken.
Zur selben Zeit, als Liebermann seinen Schlüssel erst in den Jacken-, dann in den Hosentaschen suchte, um ihn schließlich im Hemd zu finden, schloss Frank draußen an der Havel seine Bar. Heute war es noch schlimmer gewesen als gestern. Bis neun Uhrnicht mehr als eine Gruppe Volleyballer, die seinen Strand umgepflügt und nach dem Spiel eine mickrige Runde Bier genommen hatte. Daneben nur das dicke Mädchen. Es tauchte regelmäßig bei ihm auf, jedes Mal mit einem anderen Verehrer. Frank verdächtigte sie mittlerweile eines ebenso regen wie enttäuschenden Online-Liebeslebens. Es wunderte ihn nicht, bei dieser Verschalung. Offenbar hatte die Kleine noch nicht begriffen, dass ihre zweifellos vorhandenen inneren Werte vom Speck eines Walfisches verdeckt wurden, der vielleicht einen Inuit, kaum aber einen westeuropäischen Mann betörte. Um zehn hatte ihr aktueller Verehrer die Rechnung beglichen und eilig das Weite gesucht. Das Walmädchen hingegen hatte noch eine Weile auf den Fluss gestarrt, so dass Frank schon Angst bekommen hatte, sie würde sich hineinstürzen. Und dann? Würde sie für immer auf den Grund der Havel tauchen? Eine traurige Fontäne zum Abschied in die Luft prustend, als Botschaft an die Zurückgebliebenen, dass sie alles versucht hatte, nun aber zu ihresgleichen zurückkehrte?
Aber nein. Nach einigen Minuten zog sie geräuschvoll die Nase hoch und stapfte davon.
Frank zog die Rollläden herunter, die sein Allerheiligstes notdürftig vor Wind und Einbrüchen schützten, sicherte sie durch zwei Vorhängeschlösser und folgte ihr langsam. Seine Wohnung lag im obersten Stockwerk eines Hochhauses unweit der Uferpromenade, im Zentrum einer Plattenbausiedlung. Zu DDR-Zeiten eine privilegierte Gegend, jetzt lebten dort hauptsächlich Rentner.
Rechts dümpelten die Hausboote friedlich vor sich hin. Es waren drei, eine kleine Familie, deren Mitglieder eine eigene Spezies bildeten. Auf dem mittleren wohnte Rolli, der Frank manchmal beim Harken seines Strandes half, um ein Bier zu schnorren. Er nannte sich Künstler, wobei seine Kunst darin bestand, Gegenstände mit Rollen zu versehen: Möbel, Skulpturen aus demGartencenter, Spielzeug, ja selbst Lebensmittel, die er als »Essen auf Rädern« vor Sozialstationen feilbot. Nebenbei hatte er einen miserablen Musikgeschmack, an dem er seine Nachbarschaft großzügig teilhaben ließ. Die anderen waren zahmer, was der Grund dafür war, dass Frank sie nur vom Sehen kannte.
Sein Boot lag etwas abseits der drei, vor einer kleinen Holzbrücke, die Havelpromenade und Plattenbaugebiet verband. Eigentlich gehörte es einem Alten, ebenfalls Künstler, aber von der traditionellen Sorte: talentiert und versoffen. Anscheinend hatte er sich die Flasche am Ende zu tief in den Hals gesteckt, jedenfalls war er seit einer Weile weg. Sein Kahn aber war noch da und nährte Franks Traum von einer Bar auf dem Wasser.
Wie immer, wenn er in Sichtweite kam, begann Franks Herz heftiger zu schlagen. Da lag er, in seiner ganzen abgeblätterten Pracht. Mit perfekten Rundungen, Bullaugen, der Brücke, dem flachen Überbau und dem verwaschenen Schriftzug »Marianne«. Davor allerdings befand sich etwas weniger Schönes. Sogar etwas ziemlich Speckiges, das gleichfalls wie gebannt auf das Schiff starrte.
Als Frank an ihr vorbeiwollte, erwischte das Walmädchen seinen Arm. »Hör mal!«
Sie stand so dicht an der Kaimauer, dass ihre Zehenspitzen einige Zentimeter darüber hinausragten. »Was?«, fragte Frank.
Mit erhobener Hand gebot ihm das Mädchen zu schweigen. »Es kommt gleich wieder.«
Frank zog sein Tabakpäckchen aus der Tasche. »Das Boot ist leer.«
»Warte!«
Geruhsam drehte der Barmann sich eine Zigarette und zündete sie an. Außer Rollis wummernder Mucke hörte er nichts. Als er kurz zur Seite blickte, sah er den jungen Vater vom linken Boot zu Rolli hinübergehen. Jetzt gibt’s Ärger, dachte Frank und wandte sich wieder zum Walmädchen. »Du hast wahrscheinlichdie Ankerkette knarren hören. Oder den Schiffskörper. Wenn die Wellen den Kahn bewegen, dann gibt sein altes Eisen manchmal Laut.« Das Mädchen runzelte die Stirn. Gleich darauf erstarrte sie. »Erzähl mir nicht, dass das Eisen war!«
Frank
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