Katzenmond
Antwort hob Maja schwerfällig eine Pfote. Als hätten sie nur darauf gewartet, erhoben sich die beiden Kater und kamen heran.
»Das ist Hermann«, stellte Streuner den Braunen vor. »Genannt das Totenauge. Ich dachte mir, dass in einer so morbiden Angelegenheit ein Fachmann von Nutzen sein könnte.«
»Fachmann wofür?«, fragte Serrano.
Der Braune sah ihn nachdenklich an. »Aas.«
Er sprach leise, dennoch schlitzte das Wort die Luft wie eine Kralle. Getroffen zuckte Maja zusammen. »Meine Tochter ist kein Aas!«
Das Totenauge verzog nachsichtig das Maul. »Was kann ich für euch tun?«
»Hermann arbeitet im Tierheim hinter dem Park«, erklärte Streuner. »Er betreut dort die Langzeitinsassen von unseresgleichen, soll heißen, er hält die Verbindungen zwischen ihnen aufrecht, damit sie nicht verrückt werden. Wenn sich die Gelegenheit ergibt, hilft er ihnen auch beim Ausbruch und gliedert sie in die umliegenden Reviere ein. Ben ist auf diese Weise zu uns gekommen.«
Ben, dachte Serrano verblüfft. Wieso wusste er nichts davon? Soweit er sich erinnerte, war Ben eines Tages einfach da gewesen, friedfertig, unauffällig und mit dem Kopf irgendwo in den Wolken. Er war nie auf die Idee gekommen, hinter diesen freundlichen Macken eine Geschichte zu vermuten.
Maja zeigte sich weniger beeindruckt. »Ob dein Freund ein Held ist, kümmert mich im Winter. Kann er uns etwas über Krümel sagen?«
»Aber ja, deshalb ist er hier. Er ist schließlich das Totenauge! So ein Name fällt nicht vom …« Weiter kam Streuner nicht. Das Totenauge schob ihn zur Seite und näherte sich dem Kadaver.Mit einer Mischung aus Ekel und Neugier beobachtete Serrano, wie er langsam um Krümel herumkroch, sie wendete, beschnüffelte und schließlich erst etwas aus ihrer Nase und anschließend aus den Augen las, um es auf ein vertrocknetes Lindenblatt zu legen. Als er ihren Schwanz hob, um einen Blick auf den After zu werfen, wandte Maja sich ab. Serrano bekämpfte eine warnende Kontraktion seines Magens. Zum Glück währte die Inspektion von Krümels Hintereingang nur kurz. Danach ging das Totenauge dazu über, den Leichnam abzutasten. Etwa in der Mitte des Bauches hielt er inne und wühlte sich tiefer ins Fell. Wieder pickte er etwas auf und fügte es seiner Sammlung hinzu. Als Serrano erkannte, was es war, stellte er die Atmung ein. Maden.
Endlich richtete sich das Totenauge auf. »Die Leiche lag ursprünglich woanders«, flüsterte er. »Wo habt ihr sie gefunden?«
Maja rührte sich nicht. An ihrer Stelle sprang Streuner auf und begann den Berg zu erklimmen. »Hier!«, rief er auf halber Höhe. »Unter Heu und dieser Tüte.« Er hob einen Vorderlauf. An seinen Krallen schlackerte etwas Blaues.
»Bring sie her«, befahl das Totenauge.
Da Streuner sie nicht ins Maul nehmen mochte, dauerte es eine Weile, bis er die Tüte vor ihnen ablegte. Sie war zerrissen, auf dem blauen Untergrund ließen sich nur noch unzusammenhängende Reste eines goldenen Bildes erkennen.
Ungeachtet ihres Zustands nahm sich das Totenauge die Tüte millimeterweise vor.
»Ein Profi, das sieht man gleich«, raunte Streuner Serrano zu. »Ihr habt mich vorhin nicht ausreden lassen, sonst hätte ich hinzugefügt, dass er zwar im Tierheim arbeitet, aber nicht dort lebt. Seine Wohnung ist der Wildpark. Ist selbst mal ausgebüxt und einfach im Wald geblieben, daher sein Wissen über Aas. Toller Bursche, ernährt sich fast ausschließlich von Würmern und Insekten.«
Bevor Serranos Magen implodieren konnte, beendete der »tolle Bursche« seine Inspektion. »Die Tüte verändert die Sache«, meinte er. Serrano sparte sich, zu fragen, inwiefern. Wichtiger war ihm, dass Maja die Ruhe bewahrte, als das Totenauge auf die Maden wies. »Ihr wisst, was das ist?«
»Larven«, sagte Streuner wie aus der Pistole geschossen. »Mehlig, nussig im Geschmack. Obwohl, die rechte könnte noch ein bisschen reifen.«
»Gut!«, lobte das Totenauge. »Und von wem stammen sie?«
Streuner kratzte sich den Buckel. »Tja. Schmeißfliege, Hausfliege und …« Er zögerte. »Die dritte hier ist keine Fliege, sondern ein Falter. Eine Motte vielleicht.«
»Exakt.« Das Totenauge deutete auf die linke Larve, einen weißlichen Wurm, der etwa die Länge eines Streichholzkopfes hatte. »Die hier ist die Jüngste im Bunde«, sagte er zu Serrano und Maja. »Schmeißfliege, erst vor wenigen Stunden geschlüpft. Ich gebe zu, dass mich das anfangs irritiert hat, denn normalerweise können
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