Katzenmond
verließen sie gewohnheitsmäßig das Haus, um – falls sie nicht gerade zu nervös dazu waren – im Garten herumzustreifen, Wühlmäusen und Grillen aufzulauern und mit Esteban zu spielen. Zwar verbrachte der Hund die Wochenenden mit seiner Herrin auswärts, aber die Wühlmäuse blieben und die Grillen auch. Wu wartete. Die Spannung nahm zu. Sie schickte einen grimmigen Gedanken an den Einohrigen und putzte sich. Nach einer Weile sah sie Dahlia und ihre Töchter aus dem Haus kommen. Sie liefen schnurgerade über die Wiese und verschwanden im Unterholz neben dem Pavillon.
Endlich rührte sich Wu. Zeit, selbst einen Happen zu fressen.
Nach der Mahlzeit ging es ihr etwas besser. Gut genug jedenfalls,um draußen nach ihren Freundinnen zu sehen. Von fern schrie eine Eule. Seit einer Weile gab es irgendwo am Bahndamm, der hinter der südlichen Grenze des Gartens verlief, Eulen. Es hatte Wu ein gutes Stück Arbeit gekostet, die Perserinnen von ihrer Harmlosigkeit zu überzeugen. Noch immer merkte man ihnen an, dass sie bis zur Übersiedlung ausschließlich im Haus gelebt hatten, allein Dahlia hatte in ihrer Jugend einen Ausbruchsversuch gewagt und war bald darauf mit ihren Töchtern niedergekommen. Seitdem litt sie unter Nervenschwäche und Verstopfung. Wu hingegen hatte von Anfang an alle Freiheiten genossen und bediente sich ihrer nach Bedarf. Da sie hässlich war, ließ man sie in Ruhe, ein knochiger Körper hatte auch seine Vorteile.
Von den Perserinnen war nichts zu sehen. Nun gut. Erschöpft vom Tag rollte Wu sich auf der Bank zusammen, auf der sie vorhin den Einohrigen begrüßt hatte. Grillen. Menschliche Laute von der rückwärtigen Hausseite. Hin und wieder auch die Eule, die sich jetzt über dem Garten befand, mit vermutlich demselben Ziel wie die Perserinnen. Die Zeit stand still, der Garten stand still, und Wu freundete sich mit dem Gedanken an, dass entweder gar nichts passieren würde oder alles.
Als der Schrei erklang, war sie bereit.
Wie ein Blitz schoss sie hinaus in die Dunkelheit. Auf halber Strecke zum Pavillon kam ihr Dahlia entgegen, gleich danach Donna, beide aufgelöst vor Entsetzen. Dahlia versuchte, etwas zu sagen, aber Wu fegte an ihr vorbei. Sie merkte den Boden unter den Pfoten kaum, doch sie roch und hörte, hundertprozentig auf einen Punkt konzentriert, der, wie sie allmählich erkannte, aus zwei Schatten bestand. Der kleinere gehörte Dahlias zweiter Tochter Bella und klebte flach auf dem Boden, der andere erhob sich eben von ihm, als Wu zum Sprung ansetzte.
Aus der Kehle des größeren Schattens drang ein heiseresKnurren. Und schlagartig wurde Wu klar, dass ein gezielter Biss von ihm ihr Ende sein würde.
Als sie aufeinanderprallten, explodierte die Nacht: Funken wirbelten herum wie Millionen orientierungsloser Glühwürmchen. Automatisch zog Wu sich zusammen und warf sich seitwärts. Doch auch dort wartete der Irrsinn bereits auf sie. Er glomm in einem Paar gelber Augen dicht über ihrem Kopf. Bella schrie oder Dahlia oder Donna oder alle zusammen, nur sie selbst schwieg, während sie den nächsten Hieb erwartete.
Er kam nicht. Benommen fixierte Wu einen Abschnitt im oberen Drittel des Schattens. Dort musste der Hals sein, und ein Hals war schwach. Während die Funken langsam zerstoben, meinte sie, Schritte über den Rasen eilen zu hören. Der Schatten knurrte noch einmal, höher und enttäuscht diesmal, und zog die gelben Lichter von ihr ab. Beinahe im selben Augenblick erklang die Stimme der Frau.
Wu bezwang einen übermächtigen Drang, in die Hand zu beißen, die sich sacht auf ihren Rücken legte. Dann spürte sie die Berührung, und auf einmal fiel die Anspannung von ihr ab. Sie war wieder das Kätzchen, das von der Mutter nach einem Abenteuer zurück ins Nest getragen wurde, begleitet vom Klagen der Geschwister.
Wurde sie vielleicht langsam verrückt ?, fragte sich Elsa Laurent. Ihr Nachname erfreute sich dank ihres letzten Ehemannes einer französischen Intonierung, was ihr im Moment völlig schnuppe war. Jetzt ging es um Wichtigeres, nämlich um die Klarheit ihres Verstandes und ihre Schule. Eins von beiden erlitt gerade Schlagseite, so viel stand fest. Beides stand unter ihrer Verantwortung. Deshalb vor allem war sie bei dem barbarischen Geschrei der Katzen zusammengezuckt wie unter einer Ohrfeige.
Zu ihrer Beruhigung konnte Elsa sich sagen, dass das Geschrei immerhin echt gewesen war, auch wenn sie es zunächst nichthatte glauben wollen. Die Perserinnen gaben sonst
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