Katzenmond
stockend.
»Vergiftet.«
Einige Sekunden lang herrschte Stille, dann begann Frau Kaiser zu weinen. »Vivian«, murmelte David und legte ihr eine Hand auf den Arm, ehe er sich mit gefurchter Stirn an Liebermann wandte. »Wollen Sie ihr nicht etwas Zeit geben, bevor Sie sie ausquetschen? Ich muss schon sagen, Sie haben es echt drauf, Leute zu schocken.«
Vivian Kaiser schüttelte den Kopf. »Schon gut«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Was wollen Sie wissen?«
»Zunächst ein paar Randdaten«, sagte Liebermann. »Wir arbeiten uns von außen nach innen vor, und Oberkommissar Müller schreibt mit.«
Der Oberkommissar zog grunzend einen Block aus der Aktentasche, die an einem Bein seines Stuhls lehnte. Wie angekündigt, begann Liebermann am äußersten Rand, bei Frau Kaisers Beruf.
»Sprechstundenhilfe in der Praxis ihres Manns«, bellte Müller.
Liebermann neigte sich zu ihm hinüber. »Frau Kaiser kann selbst sprechen, ich habe es gehört.«
Die Witwe nahm ein Taschentuch von David an. »Er hat recht. Vor zwei Jahren, als Lucy in den Kindergarten gekommen ist, hab ich bei Knut angefangen.«
»Lucy ist ihre Tochter«, erklärte David. »Sie wohnt vorübergehend bei Frau Kaisers Schwiegermutter.«
»Aha«, machte Liebermann. »Sie führen also sozusagen ein Familienunternehmen.«
Vivian Kaiser begann ihre Hände zu kneten. »Nicht direkt. Außer mir hat Knut noch eine ehemalige Krankenschwester aus dem Josefs-Krankenhaus. Wir teilen uns eine Stelle.«
In Liebermanns Hinterkopf klingelte es sacht. Leider folgte dem Klingeln nichts. Also konzentrierte er sich wieder auf die Witwe, deren Stimme bei jedem Wort leiser geworden war. Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte sich Liebermann, dass Müller seinen Stift in Bewegung setzte. »Wissen Sie, ob Ihr Mann Feinde hatte?«
Vivian Kaiser zuckte zusammen, als hätte sie in eine Steckdose gefasst. »Es ist eine etwas archaische Bezeichnung«, gab Liebermann zu. »Aber angesichts der Tatsachen scheint sie mir zutreffend.« Wieder sah er zu Müller, der es nicht wahrnahm, weil er damit beschäftigt war, ein Loch in seinen Block zu stanzen.
Vivian Kaiser krümmte die Schultern. »Rivalitäten unterÄrzten sind üblich. Besonders hier, wo man sich um jeden Privatpatienten schlagen muss. Und unter denen finden sich natürlich immer welche, die mit ihrer Diagnose oder Behandlung unzufrieden …« Sie unterbrach sich. Trank einen Schluck Tee . Blickte flüchtig zu David, der seine Hände in Bereitschaft hielt. Dann fuhr sie sich mit der Zunge über die Unterlippe, als wäre der Fortgang des begonnenen Satzes dort kleben geblieben. »Es gab ein paar Probleme mit einer Patientin«, sagte sie unsicher. »Aber die hatte vor Knut schon die halbe Ärzteschaft von Potsdam durch und verleumdet alle, nicht nur uns, außerdem ist sie zu alt.«
»Ich hätte trotzdem gern den Namen.«
»Keller. Den Vornamen und die Adresse müsste ich nachsehen.«
»Tun Sie das. Es wird Sie später jemand deswegen anrufen.«
Das bisschen Farbe, das während der letzten Minuten in Vivian Kaisers Wangen zurückgekehrt war, verlor sich schlagartig. »… Momentan kümmern sich meine Kollegin und David, Herr Kühn, um die Praxisbelange. Ich bin … Jedes Mal, wenn das Telefon klingelt, denke ich …« Ihr Kinn begann zu zittern. Liebermann hob die Hand und wandte sich an David. »Meinetwegen kann auch Herr Kühn mir die Daten der Patientin übermitteln.«
David zuckte die Achseln und nickte.
»Wessen beschuldigt die Dame Ihren Mann eigentlich?«
Vivian Kaiser stieß einen kurzen Laut aus. »Mord.«
Die beiden Kommissare runzelten gleichzeitig die Stirn. »Mord?«, echote Müller.
»So hat sie es genannt. Sie behauptet seit Ewigkeiten, unter Magenkrebs zu leiden. Aber außer einem bisschen Blut im Stuhl, das wahrscheinlich von ihren Hämorrhoiden herrührt, weist nichts darauf hin. Eine Spiegelung verweigert sie, vor Röntgenstrahlung hat sie Angst. Ihrer Meinung nach sollte Knut eine alternative Diagnostikmethode erfinden, was er nicht kann. Alsowirft sie ihm vor, sie vorsätzlich umzubringen. Sie hat uns Briefe in die Praxis geschrieben, die Sie nicht lesen wollen.«
»Doch«, sagte Liebermann.
Sein Blick ging wiederum zu David, der seufzend zusammenfasste: »Daten und Briefe einer irren Alten.«
Bei der alten Irren blieb es. Mehr Feinde fielen Vivian Kaiser nicht ein, und Liebermann beließ es dabei, um sich in den inneren Kreis vorzutasten, zu den letzten Tagen vor Kaisers Tod.
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