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Katzensprung

Katzensprung

Titel: Katzensprung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Gibiec
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alleine.
    Sei nicht traurig, Lunitschka, sagt er,
irgendwann ist das alles vorbei. Ich liebe seine Stimme.
    Ich glaube, er will wieder an die Wolga
zurück zu seiner Oma. Ihm liegt nichts an dieser Stadt und an mir.
    Man sieht seinem Gesicht nicht an, was
er denkt, er verschließt es wie eine Tür.
    Clari, Clari, es geht mir nicht gut!
    hdgggdddl
    Luna

Der Held
    Olga war den Sonntag über unruhig gewesen. Sie hatte
längere Zeit mit Max telefoniert, der auf der Elberfelder Wache Dienst schob
und wenig zu tun hatte. Er war fix und fertig, weil ihn die Zwillinge die halbe
Nacht auf Trab gehalten hatten, und hatte Olga beschworen, ihn nicht zu
verlassen, sie sei sein Halt, seine einzige Stütze in all dem Chaos, er werde
sich für sie in Stücke reißen, er liebe sie und wolle mit ihr eine Familie
gründen.
    Er hatte halblaut gesprochen wegen der Kollegen um ihn herum, hatte
panisch geklungen und sehr ehrlich. Sie war im Nu geschmolzen, hatte jedoch
seinen Vorschlag, abends noch vorbeizukommen, zurückgewiesen. Sie wusste, dass
er todmüde und gereizt sein würde, außerdem wollte sie üben, ohne ihn
auszukommen.
    Den Abend hatte sie mit Tülay vor dem Fernseher verbracht, sie
hatten Rotwein getrunken und waren immer wieder auf Petar und seinen Bruder zu
sprechen gekommen.
    Am Montagmorgen rief Olga Ulrike Henseler an, berief sich auf Tülay
und fragte, ob sie kurz vorbeikommen könne. Sie wollte Lepple erst einmal außen
vor lassen und vorfühlen, was Ulrike Henseler über den Bruder Petars wusste.
    Als sie gegen halb neun in der Gronaustraße ankam, verstaute Ulrike
Henseler, eine rundliche, gütige Frau, ihre Pflegekinder gerade im Schulbus,
der sie zur Behindertenschule brachte. Sie führte Olga ins Wohnzimmer, das
einem bunten Lager aus Decken und Teppichen glich – überall gab es kleine
Wohlfühloasen mit Kuschelkissen und vielen Spielsachen. Sie kochte Kaffee und
erzählte von Petar, seiner Mutter Galina und seinem Bruder Igor.
    Die Eltern waren mit dem damals siebenjährigen Igor vor elf Jahren
als jüdische Aussiedler aus Moskau nach Wuppertal gekommen. Sie waren Tänzer
beim Bolschoi-Ballett gewesen, Igors Vater war zu dieser Zeit schon schwer
alkoholabhängig, seine Mutter konnte wegen eines Meniskusschadens nicht mehr
tanzen. Ihr Traum von einer Tanzschule zerschlug sich, als sie mit Petar
schwanger wurde, kurz darauf starb ihr Mann. Auch sie trank bereits, und so war
es nicht verwunderlich, dass das Kind mit dem Fetalen Alkoholsyndrom geboren
wurde.
    »Daher kommt seine Behinderung«, sagte Ulrike Henseler. »Die meisten
Mütter wissen gar nicht, was sie ihrem Kind mit dem Alkohol antun. Das
Jugendamt besuchte die Familie, es hatte den Eindruck, dass alles einigermaßen
lief. Es kümmerten sich auch Frauen aus der jüdischen Gemeinde um die drei.
Allerdings hat wohl hauptsächlich Igor den Laden aufrechterhalten, und das
Jugendamt hat ihn gewähren lassen, weil sie ihm zutrauten, dass er es schaffte,
und es für besser hielten als ein Heim für die beiden Jungen. Die Mutter hat
sich in den ersten Jahren auch noch halbwegs gekümmert, es ist erst im letzten
Jahr so stark bergab gegangen. Igor ging einigermaßen regelmäßig zur Schule,
aber ab Mittag hat er die zunehmend verwahrloste Mutter und den Bruder betreut.
Der Kontakt zwischen Igor und Petar muss sehr eng gewesen sein, sie schliefen
zusammen in dem Doppelbett der Eltern. Die Berichte vom Jugendamt sagen, dass
der Haushalt in Ordnung und das Kind gut ernährt und versorgt war.«
    »Warum ist Petar dann schließlich doch zu Ihnen gekommen?«
    »Am Ende hatte die Mutter die Situation kaum noch im Griff und
musste oft ins Krankenhaus. Igor hat das Jugendamt selbst gebeten, dass der
Kleine da rauskommt. Er hat sehr darauf geachtet, in welche Familie Petar kam,
er war vorher hier und hat alles inspiziert. Er hat Vertrauen zu meinem Mann
gefasst, zu mir nicht so sehr. Und er kommt ja fast täglich, um den Kleinen
abzuholen.«
    »Was macht er jetzt, geht er noch zur Schule?«
    »Er hat im vorletzten Sommer den Realschulabschluss gemacht, ich
glaube, mit Ach und Krach. Ich weiß von keinem Job, er und seine Mutter leben
wohl von Sozialhilfe. Allerdings ist er immer vernünftig gekleidet, auch Petar
hatte gute Kleidung, als er zu uns kam. Wir wissen nicht, wie Igor zurechtkommt.
Er hat meinem Mann einmal erzählt, dass er ab und zu in die Spielhalle am
Berliner Platz geht.«
    »Welchen Eindruck haben Sie von dem Jungen? Wie gut kennen Sie

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