Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
Zimmer tragen. Gunepala war Perfektionist; er konnte unbarmherzig und jähzornig sein. Ich habe gesehen, wie er mit seinen schwieligen Fingern jede fragwürdige Zutat aus dem siedenden Topf fischte und meterweit in die Blumenbeete schleuderte – einen Hühnerknochen oder überreife thakkalis , über die sich sofort die Straßenköter hermachten, die in der Nähe herumlungerten, weil sie seine Gepflogenheiten kannten. Gunepala stritt mit jedermann – mit Händlern, Lotterielosverkäufern und neugierigen Polizisten –, aber er war sich einer Welt bewusst, die wir anderen nicht wahrnahmen. Beim Kochen pfiff er alle möglichen Vogelrufe, die man in der Stadt nur selten zu hören bekam und die ihm aus der Kindheit vertraut waren. Niemand außer ihm besaß diese spezielle Aufmerksamkeit für das, was für uns hörbar ist oder sein könnte. Einmal weckte er mich nachmittags aus einem tiefen Schlummer, nahm mich an der Hand und wies mich an, das Ohr an einen Fladen Ochsenmist zu halten, der seit einigen Stunden in der Einfahrt lag. Er zog mich neben dem Mist auf den Boden und forderte mich auf, den Insekten im Inneren der Scheiße zuzuhören, die dieses Festmahl verzehrten und vom einen Ende des Fladens zum anderen ihre Gänge gruben. In seinen Mußestunden brachte er mir eigenwillige Texte voller Sauereien zu den volkstümlichen bailas bei, und ich musste ihm hoch und heilig versprechen, sie für mich zu behalten, denn sie waren auf wohlbekannte Mitglieder der Oberschicht gemünzt.
Narayan und Gunepala waren wichtige und liebevolle Führer in jenem unfertigen Abschnitt meines Lebens, und in gewisser Weise brachten sie mich dazu, die Welt in Frage zu stellen, der ich anzugehören schien. Sie öffneten mir Türen zu einer anderen Welt. Als ich im Alter von elf Jahren das Land verließ, war mein größter Kummer der, dass ich sie verloren hatte. Eine Ewigkeit später stieß ich in einer Londoner Buchhandlung auf die Romane des indischen Schriftstellers R. K. Narayan. Ich kaufte sie alle und stellte mir vor, mein unvergessener Freund Narayan hätte sie verfasst. Ich sah sein Gesicht hinter den Sätzen, stellte mir seinen großgewachsenen Körper an einem bescheidenen Tisch neben seinem kleinen Schlafzimmerfenster vor, wo er schnell ein Kapitel über Malgudi hinschrieb, bevor meine Tante ihn rief, weil er irgendwas für sie tun sollte. »Auf den Straßen würde es fast dunkel sein, wenn ich mich für meine Waschungen zum Fluss aufmachte, abgesehen von den städtischen Lampen, die hier und dort in unserer Straße flackerten (wenn ihnen nicht das Öl ausgegangen war) … Den ganzen Weg über kam es zu den üblichen Begegnungen. Der Milchmann, der seine Lieferung begann und eine magere weiße Kuh vor sich hertrieb, begrüßte mich ehrerbietig und fragte: ›Wieviel Uhr ist es, Herr?‹ – eine Frage, auf die ich nicht zu antworten geruhte, da ich keine Uhr hatte … Der Wächter des Taluk-Büros rief von unter seiner Decke hervor: ›Sind Sie es?‹ – die einzige Frage, die eine Antwort verdiente. ›Ja, ich bin es‹, sagte ich jedesmal und ging weiter.«
Ich wusste, dass mein Freund solche Details bei unseren morgendlichen Spaziergängen die High Level Road entlang bemerkt hatte. Ich kannte den Ochsenkarrenlenker, ich kannte den Asthmatiker, der den Zigarettenstand betrieb.
UND DANN ROCH ICH eines Tages brennenden Hanf auf dem Schiff. Einen Augenblick lang verharrte ich reglos, dann ging ich auf eine Treppe zu, wo der Geruch sich stärker bemerkbar machte, unentschlossen, ob ich hinauf- oder hinuntergehen sollte, und ging dann hinauf. Der Geruch kam von einem Korridor auf Deck D. Wo er am stärksten schien, blieb ich stehen, kniete mich hin und schnüffelte an dem schmalen Spalt unter der Eisentür. Ich klopfte leise an.
»Ja bitte?«
Ich trat ein.
An einem Schreibtisch saß ein freundlich aussehender Mann. Das Zimmer hatte ein Bullauge. Es stand offen, und der Rauch eines Seils, das am einen Ende brannte, schien einen Weg über die Schulter des Mannes und zum Bullauge hinaus zu nehmen. »Ja bitte?« wiederholte er.
»Ich mag den Geruch. Er fehlt mir.«
Er lächelte mich an und deutete auf eine Stelle seines Betts, auf die ich mich setzen konnte. Er öffnete eine Schublade und entnahm ihr einen Meter gerollten Seils. Es war eines jener Hanfseile, wie sie schwelend vor den Zigarettenständen in Bambalapitiya oder auf dem Pettah-Markt hingen, eigentlich überall in der Stadt, und an denen man sich die
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