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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ondaatje
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vorbeikamen, fragte Cassius noch einmal: »Onkel, was ist das?« Dann kletterten wir die Eisenleiter zum Deck hinauf. Das Hinaufklettern war schwieriger als der Abstieg. Mr. Daniels war uns fast ein Deck voraus, und als wir oben ankamen, stand er schon da und rauchte eine Bidi, die in weißes Papier und nicht in ein braunes Blatt gerollt war. Er hielt seine linke Hand schützend vor die Zigarette, und dann erzählte er uns Wissenswertes über Palmen in aller Welt. Er spielte uns vor, wie sie standen und wie sie schwankten, je nach Sorte und Züchtung, wie sie sich unterwürfig vom Wind biegen ließen. Er demonstrierte uns die verschiedenen Palmenhaltungen, bis wir zu lachen anfingen. Dann bot er uns seine Zigarette an und zeigte uns, wie man inhalierte. Cassius hatte sie schon die ganze Zeit beäugt, doch Mr. Daniels reichte sie zuerst mir, und dann machte sie zwischen uns die Runde.
    »Ungewöhnlicher Tabak«, sagte Cassius bedächtig.
    Und Ramadhin nahm einen zweiten Zug und sagte: »Onkel, mach noch mal die Palme!« Und Mr. Daniels begann die verschiedenen Haltungen für uns zu wiederholen. »Das hier ist natürlich die Talipot, die Schirm- oder Schattenpalme«, sagte er. »Von ihr kommt der Toddy und der Jagrezucker. Sie bewegt sich so.« Dann ahmte er eine Königspalme nach, die in Kamerun in Süßwassersümpfen wächst. Dann eine Palme von den Azoren, gefolgt von einer Palme mit schlankem Stamm aus Neuguinea, wobei seine Arme zu zierlichen Wedeln wurden. Er machte nach, wie die verschiedenen Sorten im Wind schwankten, die einen heftig rauschend, andere, indem sie lediglich den Stamm seitlich so beugten, dass sie dem Sturmwind ihre schmalste Seite zeigten.
    »Die Aerodynamik … sehr wichtig. Bäume sind schlauer als Menschen. Selbst eine Lilie ist schlauer als ein Mensch. Bäume sind wendig …«
    Wir lachten, bis wir nicht mehr konnten, über all diese verschiedenen Posen. Und auf einmal liefen wir weg. Krakeelend rasten wir mitten in das Halbfinale des Frauen-Badminton und sprangen Hals über Kopf völlig angekleidet in das Schwimmbecken. Dann kletterten wir hinaus und zogen ein paar Liegestühle ins Wasser. Um diese Tageszeit war das Deck um das Becken gut besucht, und Mütter mit kleinen Kindern gingen uns aus dem Weg. Wir leerten alle Luft aus unseren Lungen und sanken bis zum Boden und standen dort und wedelten sanft mit den Armen wie Mr. Daniels’ Palmen, und wir wünschten, er könnte uns sehen.

Der Turbinenraum
    WIR MUSSTEN AUFBLEIBEN , damit wir miterleben konnten, was spätnachts auf dem Schiff vor sich ging, doch wir waren abends immer erschöpft, weil wir vor Sonnenaufgang aufstanden. Ramadhin schlug vor, wir sollten uns nachmittags hinlegen, wie wir es als Kinder getan hatten. Im Internat hatten wir diesen Mittagsschlaf verachtet, aber nun erkannten wir, dass er nützlich sein konnte. Aber es gab Schwierigkeiten. Ramadhins Kabine lag Wand an Wand mit einer Kabine, in der, wie er behauptete, ein Paar nachmittags lachte und stöhnte und kreischte, während meine Nachbarkabine von einer Frau belegt war, die Violine übte, und die Töne drangen durch die Eisenwand zu mir herüber. Nur Kreischen ohne Gelächter, sagte ich. Ich konnte sogar ihre erbitterten Selbstgespräche zwischen den nicht zu überhörenden Quietsch- und Zupflauten hören. Außerdem war es in den unteren fensterlosen Kabinen unerträglich heiß. Jeglichen Zorn, den ich gegen die Geigerin hegte, milderte das Wissen, dass sie sicherlich schwitzte und so knapp gekleidet war, wie es ihre Selbstachtung zuließ. Ich bekam sie nie zu Gesicht, wusste nicht, wie sie aussah oder was sie auf ihrem Instrument zu erreichen versuchte. Ihre Töne klangen nicht wie Mr. Sidney Bechets »strenge und volle« Klänge. Sie wiederholte nur unablässig die gleichen Noten und Tonleitern, hielt inne und begann wieder von vorne, Schultern und Arme sicherlich schweißbedeckt, während sie ihre Nachmittage allein und so fleißig in der Nachbarkabine verbrachte.
    Und außerdem wollten wir drei zusammensein. Jedenfalls stellte Cassius fest, dass wir einen Stützpunkt brauchten, und wir entschieden uns für den kleinen Turbinenraum, in den wir vor unserem Abstieg in den Laderaum mit Mr. Daniels gelangt waren. Dort, im Halbdunkel und in der Kühle, staffierten wir mit ein paar Decken und ein paar ausgeborgten Rettungswesten an so manchem Nachmittag ein Nest aus. Wir plauderten ein bisschen und schliefen dann tief und fest mitten in dem Getöse der

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