Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch
aus ihm geworden ist. Alle paar Jahre, wann immer es mir einfällt, suche ich in irgendwelchen Bibliotheken nach seinem Namen. Ich weiß, dass Ramadhin während der ersten Jahre in England in Verbindung mit ihm geblieben war. Ich dagegen nicht. Dabei wusste ich sehr wohl, dass Leute wie Mr. Fonseka uns vorausgegangen waren wie unschuldige Ritter in gefährlicheren Zeiten, auf ebenjenem Weg, den nun wir beschritten, und bei jedem Schritt gab es die gleichen Lektionen – nicht Gedichte –, die es unerbittlich auswendig zu lernen galt, genau wie die Entdeckung des guten und billigen indischen Restaurants in Lewisham und, damit vergleichbar, das Aufreißen und Zukleben blauer Luftpostbriefe nach Ceylon, später nach Sri Lanka, und die gleichen Kränkungen und Beleidigungen und Beschämungen angesichts unserer Betonung des Buchstabens V und unseres hastigen Sprechens und vor allem ob der Schwierigkeit, Zugang zu finden, und irgendwann vielleicht eine gewisse Vertrautheit, ein gewisses Wohlfühlen in ähnlichen kabinenartigen Apartments.
Ich stelle mir Mr. Fonseka an den englischen Schulen vor, in seiner zugeknöpften Strickjacke, mit der er sich vor dem englischen Wetter zu schützen versucht, und frage mich, wie lange er dort geblieben sein mag und ob er wirklich »für immer« geblieben ist. Oder ob er es schließlich nicht länger aushalten konnte, selbst wenn England für ihn »der Nabel der Kultur« war, und statt dessen nach Hause zurückgekehrt ist, mit einem Air-Lanka-Flug, der nur zwei Drittel eines Tages dauerte, und wieder von vorne begonnen und an einem Ort wie Nugegoda unterrichtet hat. Aus London zurückgekehrt. Waren all die auswendiggelernten Absätze und Strophen des europäischen Kanons, die er mit zurückbrachte, die Entsprechung zu einem Hanfseil oder einer Flasche mit Flusswasser? Hat er sie übertragen oder übersetzt, hat er sie unbedingt in einer Dorfschule unterrichten wollen, an einer Tafel im Sonnenlicht, während nahebei Waldvögel ihre heiseren Rufe ausstießen? Eine eigene Ordnung in Nugegoda?
INZWISCHEN WAREN UNS FAST ALLE ÖRTLICHKEITEN auf dem Schiff wohlvertraut – vom Weg der Luftkanäle von den Turbinenpropellern aus bis zu dem Weg, auf dem ich in den Raum gelangen konnte, in dem die Fische ausgenommen wurden (indem ich durch einen Ausgang für die Servierwagen hineinkroch), weil ich den dafür zuständigen Männern gern bei der Arbeit zusah. Einmal balancierten Cassius und ich auf den schmalen Balken über der abgehängten Decke im Ballsaal, um den tanzenden Menschen zuzusehen. Es war Mitternacht. Unserer Zeitrechnung nach würde in sechs Stunden totes Geflügel aus dem »Kälteraum« in die Küchenräume gebracht werden.
Wir hatten festgestellt, dass das Schloss zur Tür der Waffenkammer kaputt war, und wenn niemand da war, schlichen wir in das Zimmer und fingerten an den Revolvern und Handschellen herum. Wir wussten auch, dass es in jedem Rettungsboot einen Kompass gab, ein Segel, ein Gummifloß und Schokoladenriegel für den Notfall, die wir bereits aufgegessen hatten. Mr. Daniels hatte uns schließlich gesagt, in welcher umzäunten Abteilung seines Gartens die Giftpflanzen waren. Er zeigte uns Piper methysticum , den Rauschpfeffer, der »den Geist schärft«. Er sagte, auf den Südseeinseln nähmen die Stammesältesten ihn ein, bevor sie über schwierige Friedensabkommen beratschlagten. Und es gab Kurare, das ganz allein fast im verborgenen unter grellgelbem Licht wuchs, ein Gift, das, wenn es in den Blutkreislauf gelangt, den Betreffenden in eine lange, traumlose Trance versetzt, wie Mr. Daniels uns erklärte.
Es gab auch speziellere Zeiteinteilungen, die von den Rollschuhrunden der kleinen Australierin vor Sonnenaufgang bis zu der späten Stunde reichten, zu der wir im Schatten des Rettungsboots auf das Erscheinen des Gefangenen warteten. Wir beobachteten ihn aufmerksam. Wir konnten die metallenen Handschellen um seine Handgelenke sehen. Sie waren durch eine etwa einen halben Meter lange Kette miteinander verbunden, die seinen Händen eine gewisse Bewegungsfreiheit erlaubte, und mit einem Vorhängeschloss gesichert.
Wir beobachteten ihn schweigend. Zwischen ihm und uns dreien gab es keinen Austausch. Bis auf ein einziges Mal, als er plötzlich in seinem Spaziergang innehielt und in unsere Richtung in die Dunkelheit spähte. Sehen konnte er uns nicht. Aber es war, als wäre er sich unserer Gegenwart bewusst, als hätte er uns gewittert. Die Wärter bemerkten
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