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Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch

Titel: Katzentisch - Ondaatje, M: Katzentisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ondaatje
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Zigarette anzünden konnte, die man gerade erstanden hatte; und wenn man draußen herumtobte und für Aufruhr sorgen wollte, benutzte man das brennende Seilende, um daran die Zündschnur eines Krachers zu entzünden.
    »Mir wird er auch fehlen, das weiß ich«, sagte der Mann. »Und andere Dinge. Kothamalli . Balsam. Ich habe sie in meinem Koffer. Ich gehe nämlich für immer.« Für einen Augenblick wendete er den Blick ab. Es war, als hätte er das zum erstenmal laut zu sich selbst gesagt.
    »Wie heißt du?«
    »Michael«, sagte ich.
    »Wenn du dich einsam fühlst, Michael, kannst du immer herkommen.«
    Ich nickte, schlüpfte dann hinaus und schloss die Tür hinter mir.
     
    Er hieß Mr. Fonseka, und er reiste nach England, um Lehrer zu werden. Ich besuchte ihn alle paar Tage. Er wusste Stellen aus allen möglichen Büchern, die er auswendig aufsagen konnte, und er saß den ganzen Tag an seinem Schreibtisch und dachte darüber nach, überlegte, was er darüber sagen konnte. Die Welt der Literatur war mir fast völlig unbekannt, doch Mr. Fonseka ebnete mir den Weg mit ungewöhnlichen und fesselnden Geschichten, unterbrach sich abrupt mitten im Erzählen und sagte, eines Tages würde ich herausfinden, wie es weiterging. »Es wird dir gefallen, ganz sicher. Vielleicht wird er den Adler finden.« Oder: »Sie werden mit Hilfe von jemandem, dem sie begegnen, aus dem Irrgarten herausfinden …« Wenn ich nachts mit Ramadhin und Cassius den Erwachsenen nachspionierte, versuchte ich das Gerippe eines Abenteuers, das Mr. Fonseka nicht zu Ende erzählt hatte, auf eigene Faust auszuschmücken.
    Auf seine ruhige Art war er gütig. Er sprach langsam und zögernd. Selbst damals schon konnte ich dem Rhythmus seiner Gesten seine Besonderheit ablesen. Er erhob sich nur, wenn es unumgänglich war, als wäre er eine kranke Katze. Sich vor der Öffentlichkeit zu produzieren war ihm fremd, obwohl er im Begriff stand, sich als Lehrer für Literatur und Geschichte in England in eine öffentliche Welt einzufügen.
    Ich versuchte ein paarmal, ihn an Deck zu locken, doch sein Bullauge und das, was er durch dieses Fenster sehen konnte, schienen ihm genug Natur zu bieten. Mit seinen Büchern, seinem glimmenden Seil, ein paar Flaschen mit Wasser aus dem Kelani River und ein paar Familienfotos hatte er kein Bedürfnis, seine Zeitkapsel zu verlassen. An langweiligen Tagen besuchte ich das verrauchte Zimmer, und irgendwann begann Mr. Fonseka mir vorzulesen. Die Anonymität der Geschichte und der Gedichte ging mir am meisten unter die Haut. Und die Rundung eines Reims war etwas Neues für mich. Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass er tatsächlich etwas zitierte, was vor Jahrhunderten in fernen Ländern mit Bedacht verfasst worden war. Er hatte sein ganzes Leben in Colombo verbracht, sein Akzent und sein Auftreten waren von der Insel geprägt, doch zugleich besaß er dieses umfassende Bücherwissen. Er konnte ein Lied von den Azoren singen und Zeilen aus einem irischen Theaterstück zitieren.
    Ich brachte Cassius und Ramadhin mit, um sie ihm vorzustellen. Er war neugierig auf sie geworden und wollte von mir von unseren Abenteuern auf dem Schiff hören. Er bezirzte sie, wie er mich bezirzt hatte, vor allem Ramadhin. Aus den Büchern, die Mr. Fonseka las, schien er eine Art Sicherheit oder etwas Beruhigendes zu beziehen. Er richtete den Blick in eine unvorstellbare Ferne (fast konnte man die Daten vom Kalender wegwehen sehen) und zitierte Zeilen, die in Stein gemeißelt oder auf Papyrus geschrieben waren. Ich denke mir, dass er diese Dinge memorierte, um seine eigene Meinung zu klären, so wie jemand seine Strickjacke zuknöpft, um sich zu wärmen. Mr. Fonseka würde nie wohlhabend sein. Und als Lehrer in irgendeiner städtischen Gegend erwartete ihn zweifellos ein spartanisches Leben. Aber seine heitere Gelassenheit stand in engem Zusammenhang mit seiner Entscheidung für das Leben, das er leben wollte. Diese heitere Gelassenheit und Gewissheit habe ich nur bei Menschen erlebt, die das Rüstzeug der Bücher zur Hand haben.
    Mir ist bewusst, welches Pathos und welche Ironie mit einem solchen Porträt verbunden sind. All die stockfleckigen Penguin-Ausgaben von Orwell und Gissing und die Lukrez-Übersetzungen mit den violetten Rahmen, die er bei sich hatte. Er nahm wohl an, dass man als Asiate ein bescheidenes, aber befriedigendes Leben in England führen konnte, wo sein Lateinlehrbuch das Schwert für den Ritterschlag wäre.
    Ich frage mich, was

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