Kauft Leute
war HAUS 3 mit dem Überbegriff »Friends«. Caro las den Werbetext, der dieses Haus und seine Regeln beschrieb:
»FREUNDSCHAFT KANN MAN NICHT KAUFEN. MAN KANN AUCH
KEINEN PREIS FÜR SIE BESTIMMEN. ABER WIR WISSEN, WIE
UNENDLICH GROSS IHR WERT IST.
WENN SIE IM WIENER KAFFEEHAUS VON HAUS 3 PLATZ NEHMEN,
HABEN SIE DIE GLEICHE CHANCE, EINEN FREUND ZU FINDEN,
WIE IN JEDEM KAFFEEHAUS IN DIESER STADT.
MIT EINEM UNTERSCHIED: HIER WERDEN SIE MENSCHEN
TREFFEN, DIE BEREIT SIND, IHR LEBEN MIT EINEM FREUND
ZU TEILEN. IM BEWUSSTSEIN DER WAHREN BEDEUTUNG VON
FREUNDSCHAFT: FÜR EINANDER DA ZU SEIN, UNTERSTÜTZUNG ZU
GEBEN UND DAS NICHT NUR IN SONNIGEN ZEITEN.
ALSO NEHMEN SIE PLATZ, GENIESSEN SIE EINEN WIENER KAFFEE UND
LASSEN SIE IHREN BLICK SCHWEIFEN.
VIELLEICHT ERWIDERT IHN JEMAND – IN FREUNDSCHAFT.«
Caro verzog die Mundwinkel angesichts eines Textes, der sich wie eine Einladung zum Kirchenpicknick las. Sie nahm sich vor, bei Gelegenheit etwas Flotteres zu texten, vielleicht in diese Richtung: »
Freundschaft ist nie umsonst: Paris shoppt mit Nicole. George zockt mit Brad … Lass auch du etwas für deinen besten Freund springen!
«
Dann warf sie allerdings einen genaueren Blick auf die Gäste im Kaffeehaus und musste zugeben, dass der erste Text eher der Zielgruppe entsprach. Natürlich war das Publikum gemischt, wie es bei einer medial so verschwenderisch unterstützten Eröffnung zu erwarten war, aber in die roten Kissen der Wiener Kaffeehausmöbel hatten sich in erster Linie die Reiferen unter den Besuchern fallen lassen. Sie tranken Kaffee oder Rotwein, sprachen den Torten zu und sahen sich danach um, wie viel Freundschaft sie sich leisten konnten.
Caro nahm an einem leeren Tisch am Rand des Raums Platz, wobei
Saal
die bessere Bezeichnung war. Man hatte zwar auf Stuck und Luster verzichtet, aber die weinrot bezogenen Sitzgruppen, die Thonet-Stühle, das Parkett und die Art-déco-Tapeten bildeten den stilechten Hintergrund für die schwarzweiß gekleideten Ober, die mit angemessener Freudlosigkeit servierten. Caro betrachtete Tisch um Tisch und versuchte zu erraten, wer hier Freundschaft suchte und wer sie anbot. Nach kurzem Studium der Gäste erkannte sie den kleinen Unterschied: Es waren winzige Anhänger mit dem Buchstaben »H«, die von den potenziellen neuen Freunden getragen wurden, als Halskette, als Ohrschmuck, oder aber auch als Emblem eines Rings. Ob das »H« allerdings für
HÜMANIA
oder
Helden
stand, konnte Caro nicht sagen. Es hatten sich bereits einige Paare gefunden, die sich unterhielten und vielleicht schon nach Gemeinsamkeiten forschten, andere saßen immer noch alleine und warteten auf den Freundschaft versprechenden Blickkontakt.
Caro wurde auf einen Mann aufmerksam, der ohne Begleitung in einer Sitznische links von ihr saß und darauf wartete, angesprochen zu werden. Er musste etwa Mitte 60 sein und Caro riet, dass er Professor gewesen war. Seine Haare standen leicht gelockt, aber schon ziemlich schütter in Schattierungen von hellrot bis grau vom Kopf ab und fielen ihm hinten recht üppig auf die Schultern. Er hatte feine Gesichtszüge und mochte mal ein ansehnlicher Mann gewesen sein, bevor ihn tausende Stunden mürrischen Brütens über den Semesterarbeiten seiner Studenten tiefe Züge des Überdrusses ins Gesicht gestempelt hatten. Auch wirkte er ein wenig fahrig und schaute mal durch seine Lesebrille, dann darüber hinweg in den Saal, von dem er sich – wie vielleicht in Uni-Zeiten – insgesamt nicht viel Gutes zu erwarten schien. Er trug einen naturfarbenen Anzug und darunter ein gestreiftes Hemd. Als er aufstand, um sich einen Aschenbecher zu holen, sah Caro, dass er schmale Hüften hatte wie ein Tänzer, jedoch den Bauch eines Mannes seines Alters. Er trug Jeans und gelbe Turnschuhe. Caro empfand, dass er etwas Jugendliches
und
Väterliches besaß, verletzlich und Schutz gebend zugleich. Allerdings neigte Caro auch stark dazu, sich interessante Vaterfiguren zu erfinden und aus wenigen Eindrücken ganze Persönlichkeiten zu erschaffen.
Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis jemand an seinen Tisch trat. Es war eine junge Frau in einer Trachtenjacke, deren blonde Haare Caros Schulter streiften, als sie sich hinter ihr zu dem Mann setzte. Sie roch nach einem blumigen, exklusiven Parfum, das Caro verabscheute.
»Darf ich mich zu Ihnen setzen?«
Der Mann deutete ihr, sie sei willkommen.
»Ich hoffe, ich verwechsle Sie nicht. Ihr Name ist Konrad, oder?«
Der Mann bestätigte
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