Kauft Leute
brauchen.«
Mit diesen Worten hüpfte sie aus dem Wagen und deutete Christian, ihr zu folgen.
Sie betraten das überdimensionierte Vorzimmer der Villa, in das Musik und Gespräche aus den Räumen dahinter drangen. Aus dieser Richtung kam ihnen ein dicklicher, glatzköpfiger Mann von Mitte vierzig entgegen. Er trug einen weißen Pullover, rote Brillen und glitt auf ebenso roten Hausschuhen über die braunen Fliesen des Vorzimmers.
»Spatzi! Grüß dich! Erschöpft siehst du aus.« Er umarmte Sandra. Er hatte eine tiefe, wohltönende Stimme, deren Klang er selbst zu genießen schien.
Nachdem er Sandra begrüßt hatte, begutachtete er Christian, dessen Erscheinen er schon erwartet haben musste. »Das ist er also, der Weltenbummler.«
Während Sandra ihre Jacke auszog, sagte sie: »Ja, er ist
super
stur!«
Der Dicke sah genau hin: »Der trägt ja schon einen
Egon
, gell?«
Sandra nickte: »Er hatte so Surfer-Zotteln, gar nicht Mamis Ding!«
»Weißt du, an wen er mich erinnert?«, fragte der Mann und lächelte.
Sandra sah sich Christian im Licht des Lusters an und überlegte … Bevor sie eine Ähnlichkeit entdecken konnte, rief Michi: »Pierre Cosso aus ›La Boum‹!«
Sandra murmelte »Nie gesehen …« und begann, in ihren Einkaufstaschen nach etwas zu suchen.
Der Dicke reichte Christian seine kleine, gepflegte Hand und sagte: »Grüß dich, ich bin der Michi.« Sie schüttelten sich die Hände. Dabei sah Michi Christian in die Augen und sagte: »Mit einem Jungen gehen, das heißt, ihn auf den Mund zu küssen.«
Sandra sah von ihren Einkäufen hoch und drehte sich zu Michi herum. »Was redest du da?!«
Michi sagte: »Das ist aus ›La Boum
‹
. Christian,
du
kennst das doch, gell?«
Christian nickte: »Ja, Michi, ich kenne den Film.«
»Kommt dann bitte rein, wir warten schon mit der Torte!«, sagte Michi mit einem Hauch von Strenge und verschwand wieder in Richtung Wohnzimmer.
Sandras und Christians Blicke trafen sich, und für einen Moment ahnte sie vielleicht, wie er sich fühlte.
»Wie schwul ist denn der?«, fragte Christian.
Sandra sagte: »Lass dich überraschen.«
Christian stöhnte und ließ die Knöchel seiner Finger knacken.
Die junge Frau begann, ihr Make-up im Vorzimmerspiegel zu richten. Christian stand hinter ihr und sah sich selbst in dem monströsen Schneewittchenspiegel. Er steckte in Klamotten, die eine Stylistin bei HÜMANIA für ihn ausgesucht hatte, ohne ihm ins Gesicht gesehen zu haben, und seine Frisur war wie ein falscher Akzent oder eine geklaute Anekdote bei einer Party, jedenfalls etwas, das ihn verfälschte und verdächtig machte. Noch vor ein paar Wochen hatten er und eine Bekannte einen Kurztrip nach Goa unternommen: Es war die Zeit des Monsuns, und der Strand war leer gefegt. Sie hatten sich über Mittag in ihre Hütte zurückgezogen und vögelten für eine Ewigkeit, während der Regen auf ihr Dach hämmerte. Hätte er gewusst, wo er einen Monat später stehen würde, hätte er die kleine hellblaue Hütte nie mehr verlassen. Er hätte sein Handy in der Nacht im Meer versenkt und seinem Freund in Bombay geschrieben, dass er die Sachen in seiner Wohnung vor die Tür stellen könne. Er hätte kein Problem damit gehabt, für immer zu verschwinden. Warum … (lass es, dachte er sich) … war er in diesen Flieger gestiegen?
Sandra packte ihr Schminkset wieder weg, nahm Christian bei der Hand und nickte ihm zu. »Let’s party!«
Sie durchquerten einen unbeleuchteten Salon, wo sich jetzt niemand aufhielt, und betraten das Wohnzimmer – ein riesiger Raum, der die halbe Grundfläche des Hauses einnahm. Gleich auf der rechten Seite, wo Christian und Sandra eintraten, wölbte sich ein rund gemauerter, weiß getünchter Kamin in den Raum hinein. Eine große bogenförmige Sitzbank umschloss den Ofen und wurde durch das Feuer miterwärmt. Auf der Bank lagen Kissen, und auf den Kissen saßen eine Handvoll Gäste. Zwei junge Männer erhoben sich und küssten Sandra zur Begrüßung.
Sandra zeigte auf Christian und stellte ihn als »Chris aus dem
Baby
« vor. Das löste allgemeine Hochstimmung aus, als käme aus dem
Baby
nur Gutes. Christian schüttelte Hände und murmelte Begrüßungen.
Die zwei jungen Männer waren braun gebrannt, schlank und fit, trugen Polo-Hemden in Rosa und Hellblau, goldene Uhren und Designer-Jeans. Der eine war dunkel, der andere blond, aber beide hatten sie mit viel Gel und Sorgfalt gepflegte
Egons
. Auf ihre Berufe ließ sich aus dem Gespräch ihrer
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