Kauft Leute
als Moderatorin gar nicht schlecht, jedenfalls besser als die zwei Lückenfüller, die nach Gottschalk übernommen hatten. Zufrieden betrachtete Michi die Kuchen essenden Leute auf der Couch, die den Babka genossen und einer nach dem anderen Nachschlag wollten. Christian überlegte, ob Michi sich nicht vielleicht etwas zu gut mit all dem hier arrangierte. Hätte man
ihn
in den Keller gesperrt – er wäre tagelang nicht darüber hinweggekommen. Michi aber schien zu glauben, er hätte die Strafe tatsächlich verdient. Dachte Christian jedoch genauer darüber nach, erschien ihm das völlig unsinnig. Michi besaß ein durchaus intaktes Gefühl für Ungerechtigkeit. Es gab noch zwei andere Erklärungen: Die eine war, die geheime Zutat des Babka war Arsen, und in zwei Minuten wären sie alle mausetot. Die andere: Michi glaubte – aus welchem Grund auch immer –, dass sein Blatt sich sehr bald wenden würde und es die Mühe nicht wert war, noch aufzumucken. Ja, das erschien Christian am logischsten.
Nach
Wetten, dass
… zogen sich alle auf ihre Zimmer zurück. Sandra war immer noch unterwegs, und keiner im Haus erwartete ihre Rückkehr vor dem nächsten Tag. Michi hatte Christian schon an seinem ersten Abend in der Villa ein Bett in seinem Zimmer im Erdgeschoß hergerichtet. Christian hatte auch fast jede Nacht darin geschlafen, allerdings erst nachdem er in Corinnas Bett seine Leistung erbracht hatte.
Leistung im Bett
, wie lächerlich hatte Christian diese Formulierung bisher gefunden. Nun beschrieb sie die Realität jedoch trefflich. Wobei es ihm keinerlei Schwierigkeiten machte, erregt zu werden oder Corinna Befriedigung zu verschaffen. Sie war eine attraktive Frau mit einem Körper, auf den viele jüngere Frauen eifersüchtig gewesen wären. Sie war geschickt und sogar hingebungsvoll im Bett und gab Christian nicht das Gefühl, er habe bloß zu funktionieren. Doch in einem Punkt stellte sie Erwartungen an ihn: Sie wollte, dass er zum Höhepunkt kam, sie wollte ihm zusehen dabei und sie wollte, dass er es genoss. Dies war die Leistung, die er erbringen musste. Den Einsatz, den das Erbringen dieser Leistung von Christian allerdings erforderte, wollte er nicht zahlen.
Er wollte nicht seine persönlichen sexuellen Erinnerungen verwenden, um für Corinna zum Höhepunkt zu kommen. All die Frauen seiner Vergangenheit, die sonst anwesend waren, wenn er Sex hatte; Frauen, mit denen er sich das Bett geteilt hatte und die in seiner Erinnerung lebendig waren, wenn er mit jemandem schlief – er wollte sie nicht benutzen, um dieser Frau das geheuchelte Kompliment eines Orgasmus zu machen. Er erteilte seinen Sexgeistern Zimmerverbot, wenn er mit Corinna schlief. Er kam auch so zum Höhepunkt. Es dauerte lang, irgendjemand wurde wund davon, aber schließlich erreichte er das Finale. Eine bestellte Ekstase in einem Zimmer ohne Erinnerung.
Als Christian um Mitternacht Corinnas Zimmer verließ und mit schweren Beinen wie nach dem Fitnesstraining die Treppe hinunterging und das Wohnzimmer durchquerte, stieß er mit Terese zusammen. Er brauchte einen Augenblick, um sie zu erkennen. Sie war stark geschminkt, trug einen teuflisch kurzen Rock, ein tief ausgeschnittenes, an den Rändern zerrissenes Shirt und violette hochhackige Stiefel. Mit ihrem Bild vor seinem inneren Auge hätte Christian Corinna eine halbe Stunde erotische Schwerstarbeit ersparen können.
»Wohin gehst du?«, fragte er Corinnas Assistentin.
Sie versuchte, an ihm vorbeizukommen und murmelte: »Meine Sache …«
Er hielt sie auf und drängte sie, ihm zu antworten.
»In die Freiheit«, zischte sie.
»Wohin?«
»Ins FIK!«
Christian hatte keine Ahnung, wovon sie sprach. Unwillig und besorgt, Corinna zu wecken, gab Terese Auskunft: »Das ist ein Lokal. Ein Club. Er heißt
Münchner Freiheit
. Genauer
Münchner Freiheit im Keller
, kurz
FIK
.«
»Und da darfst du hin?«, fragte Christian skeptisch.
»Es ist ein Club für
uns
.«
»Für uns? Dich und mich? Junge Leute? Typen aus Bogenhausen?«
Terese fasste es nicht, wie schwer von Begriff der Wiener war. »Für Leute, die jemandem zum Geburtstag geschenkt wurden, oder, wie in meinem Fall, einen Studentenkredit nicht zurückzahlen konnten und nun bis zum Rest ihrer Tage durch die City laufen sollen, um Klamotten zum Umtauschen zu bringen.«
Jetzt verstand Christian. »Warte hier zwei Minuten, ich komme mit.«
Terese zuckte die Schultern. »Kannst schon mitkommen, aber wenn du erst um acht in der Früh
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