Kauft Leute
Privateigentum. Das ist eigentlich nicht erlaubt, aber wer kontrolliert das schon. Wir nennen sie Geister. Fast alle müssen sich heimlich davonmachen, um hierherzukommen. Es ist der einzige Platz in der Stadt, wo sie hinkönnen, um ein bisschen Spaß zu haben: Hier sind sie willkommen, sie müssen keinen Eintritt bezahlen, die Drinks sind umsonst.«
»Aber hör mal«, sagte Christian und beugte sich näher zu dem Mann hin, »wie ist denn das möglich? Diese Leute werden offenbar gehalten wie …
Tiere
, und keiner sagt etwas? Was ist mit den
fucking Menschenrechten
?!«
»Die Menschenrechte werden in einem Sweatshop in Bangladesch auf Topflappen gestickt, die du später im HÜMANIA-Souvenirshop kaufen kannst.« Der Mann stellte seinen Drink ab und drehte sich auf seinem Barhocker zu Christian hin. »Ich hatte das Glück, sehr viel Zeit mit einem Mann zu verbringen, der vieles wusste und weitergeben konnte. Der erste Artikel der Menschenrechte:
Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen
. Und nun denke an die Welt, in der wir leben. Argument Ende. Woher bist du eigentlich?«
Das klang, als vermutete der Mann, Christian stamme aus einer eher bildungs- und menschenverstandsfernen Region des Kontinents.
»Ich bin aus Wien«, antwortete Christian.
»Wien«, seufzte der Mann, »wir haben das Neujahrskonzert besucht, eine schöne Stadt.«
Während Christian dazu neigte, so zu sprechen, als stocherte er mit einer Plastikgabel in einem Salat herum, benutzte dieser Mann hier Silberbesteck und schnitt jedes Wort sorgfältig aus dem Filet. »In Wien hängt der Himmel wirklich voller Geigen, möchte man sagen.«
Christian schmunzelte, weil ihm ein paar Zeilen einfielen, die ihm sehr lange nicht mehr über die Lippen gekommen waren: »Wean, du bist a Taschenfeitl unter an Himmel aus Schädelweh, a zehnmal kochtes Burenheidl, auf des i net haaß bin und trotzdem steh …«
Christians Gesprächspartner verstand nicht ganz.
»Das ist nur aus einem Wienerlied«, murmelte Christian, »es ist halt so eine Hassliebe.«
»Sie haben jetzt eine Filiale bei euch, oder?«, fragte der Mann.
Christian nickte. »Ja, von dort komm ich her.«
»Und wo lebst du jetzt?«
»Bei zwei Hühnern namens Wohlschlag, in Bogenhausen drüben.«
Der Mann stellte sein Glas ab. »Das ist dein Ernst? Corinna und Sandra?«
Christian nickte. »Genau die zwei.«
Der Mann lachte. »Wir kennen sie sehr gut. Sie sind sehr nette Frauen.«
Christian leerte sein Bier in einem Zug und bestellte vier weitere. Zwei für sich, zwei für ihn, nein, das war zu viel. Doch richtig, eines für sich, eines für den anderen, und zwei fürs Tablett.
»Wenn du mich fragst, sind sie absolut degeneriert …«, konstatierte Christian düster. »Wie sieht es denn mit dir aus? Bist du ein
Owner
? Heißt das so, sag ich das richtig?«
»Ja, ich erklär dir das. Die Owner sind die Besitzer, also Corinna zum Beispiel, du wärst in diesem Fall ein Prop, das steht natürlich für Property. Es gibt viele solche Bezeichnungen, aber es sind allenfalls Vereinfachungen, die wenig über die tatsächliche Beziehung zwischen zwei Menschen sagen können.«
»Und du … du lebst auch bei wem?«
»Bei mir ist es etwas ganz Spezielles: Als ich siebzehn war und mich so herumgetrieben habe, beobachtete ich eine Yacht, die an einer heimtückisch flachen Stelle des Starnberger Sees vor Anker gehen wollte. Ich ruderte hinaus und warnte den Besitzer, einen fünfzigjährigen Mann namens Günter Krongut, vor der Gefahr. Dieser nahm mich mit und stellte mich als Privatsekretär und Leibwächter ein. Er brachte mir sehr viel bei.«
Christian sah sich den Mann an seiner Seite genauer an. War er ein Naivling, ein Gauner oder einfach verwirrt? »Nette Geschichte, aber das ist aus dem
Großen Gatsby
«, sagte Christian.
»Das stimmt«, gab der Mann zurück, »Günter erzählte es gerne so.« Er lächelte und schien sich an den Erinnerungen zu laben. »Er hat mich vor fünf Jahren in Dresden angeworben. Gekauft, wenn du willst. Es war das Beste, was mir passieren konnte.«
Christian nahm das zur Kenntnis, aber er begriff diesen Mann nicht ganz. »Du wirkst ja tatsächlich zufrieden mit deinem Los.«
»Oh, ich war zufrieden«, erwiderte der Mann, »bloß ist Günter leider gestorben, und nun bin ich … allein.«
Christian wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Wenn
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