Kautschuk
Folgen –? Ich glaube, wir könnten das beide nicht verantworten.«
Johanna nahm einen langen Abschied von Clemens. Sie ahnte, daß sie ihn nicht lebend wiedersehn würde. Viele Gedanken bewegten sie. Clemens war an sich ein durchaus ehrenwerter, anständiger Charakter. Dabei in seinen gesunden Tagen liebenswürdig, heiter. Gewiß, sie hatte ihn nicht aus reiner Liebe geheiratet ... Aber wäre er gesund geblieben, hätten sie Kinder bekommen – wahrscheinlich würde ihre Ehe mit ihm ganz harmonisch verlaufen sein. Jener Unglückstag hatte ihre Ehe an der Wurzel zerstört.
Sie beugte sich noch einmal zum Abschied über ihn, küßte ihn auf die heiße Stirn. Er drückte ihre Hand und sah sie mit dankbaren, hoffnungsfrohen Augen an.
»Wirst du bald wiederkommen?« fragte er. »Vergiß nicht, oft zu schreiben, Johanna! Ich werde dir auch immer schreiben, wie’s mir geht. Es muß ja ... muß ja jetzt besser werden! Der Wärter erzählte mir vorhin von einem Fall, der noch viel schlimmer war als meiner, und der Patient ist auch gesund geworden!«
Die Tür des Sanatoriums war hinter Johanna ins Schloß gefallen. Mit starken Schritten ging sie den Hang hinunter, der zu der kleinen Bahnstation führte.
Frei jetzt! Innerlich war sie ja schon längst von ihm geschieden. Nur Mitleid hatte sie noch an seiner Seite festgehalten. Frei jetzt! Ha, wie wohl das tat, als freier Mensch ein neues Leben beginnen zu können! Clemens konnte sie nicht mehr helfen, nichts mehr nützen. Wenn ein übles Geschick sie diese Tragödie erleben ließ, so stand doch keinem das Recht zu, ihr jetzt noch die Freiheit des Handelns zu verwehren.
Sie hatte mehr ertragen, als alle, außer Fortuyn, wußten, ahnten. Hatte nach dem Maß ihrer Kräfte alles getan, um dem Manne, an den sie gefesselt, das Leben tragen zu helfen. Jetzt hatte der Spruch des Arztes den Abschluß gebracht. Was hinter ihr lag, durfte, mußte begraben sein. Ein neuer Abschnitt ihres Lebens lag vor ihr. Eines Lebens, das sie mit eigener Hand formen wollte. —
Ihr erstes Reiseziel war Ludwigshafen, wo das Stammhaus ihrer Familie stand. In einem Brief an Fortuyn teilte sie dem offen mit, was Dr. Vocke ihr gesagt. Fortuyn saß lange nachdenklich, die Zeilen Johannas in der Hand. Eine sonderbare Art, wie das Schicksal hier seine Fäden gewoben! Jener Unglücksfall – sein Rettungswerk ... was war daraus alles entstanden!
So saß er noch, als später Dr. Wolff zu ihm kam.
»Die Sache ist klar«, sagte der. »Ist so, wie ich’s gedacht habe, Herr Doktor Fortuyn. Ich war persönlich bei Professor Bauer und kam sofort ins Bild, als er mir die Geschichte mit seinem vertauschten Koffer berichtete.«
In kurzen Worten erzählte Wolff das Manöver der Agentin, die sich auf so raffinierte Art in den Besitz des Fortuynschen Materials gesetzt hatte. »Muß ein gerissenes Frauenzimmer sein, die schöne junge Dame! Bauer sprach – seine Gattin war gerade nicht im Zimmer – in Tönen höchster Bewunderung von seiner entzückenden Reisegenossin. Leider genügte seine Aussage nicht, um die Polizei auf diese Person aufmerksam machen zu können.«
Juliette saß gerade bei Boffin, unterbrach plötzlich ihr Geplauder und fragte: »Welches Ohr klingt, Herr Boffin?«
»Das rechte«, sagte der lachend.
»Richtig, Herr Boffin! Also, das ist ja nett – da spricht einer sehr gut über mich! Ich bin übrigens doch froh, daß Sie die Sache ohne mich machen wollen.«
Boffin wiegte den buschigen Kopf. »Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, meine teuerste Juliette! Man schläft nicht immer im besten Hotel oder Schlafwagen erster Klasse. Aber wie lange kann es denn dauern, bis Ihr Freund aktionsbereit ist?«
»Oh – spätestens in drei Tagen. Vor einer Stunde bekam ich sein Telegramm. Mein erster Gedanke war: Das ist der Mann, den mein lieber Mr. Boffin sucht!«
»Hauptsache, daß er ein sicherer Autofahrer ist ...«
»Er nimmt’s mit jedem Rennfahrer auf!«
»Gut«, nickte Boffin. »Mit der Sache selbst wird er ja kaum etwas zu tun haben.«
»Das freut mich sehr. Denn, offen gesagt, in direkte Aktion möchte ich ihn nicht bringen.«
»So teuer ist er Ihnen?« fragte Boffin, mit dem Finger drohend. »Fürchten Sie denn nicht, daß ›Er‹ es erfahren könnte?«
Juliette lächelte schnippisch. »Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig. Ich glaube kaum, daß Steve – wollte sagen: Mr. Hopkins – erwartet, daß ich ein Klosterleben führe.«
»Wann fahren Sie?«
Juliette sah nach der
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