Kay Scarpetta 16: Scarpetta
mir?«
»Gibt es einen Grund, dass Terri jemanden damit beauftragt haben könnte, Sie zu beschatten?«
»So etwas passt nicht zu ihr. Und nach dem, was nun geschehen ist, ergibt es überhaupt keinen Sinn, dass sie etwas damit zu tun gehabt haben soll. Sie ist tot! Sie haben sie umgebracht!«
Die Stahltür öffnete sich einen Spaltbreit, und der Wachmann spähte herein. »Alles in Ordnung bei Ihnen?« »Bestens«, erwiderte Scarpetta.
Die Tür wurde wieder geschlossen. »Aber die E-Mails hörten auf«, sagte sie zu Oscar. »Er belauscht uns.«
»Sie haben geschrien, Oscar. Wenn Sie sich nicht beruhigen, kommt er zurück.«
»Ich habe eine Sicherheitskopie der E-Mails angefertigt und dann die ganze Festplatte gelöscht, damit sie sie nicht ihrerseits löschen oder die Dateien so verändern können, dass ich als Lügner dastehe. Die originalen E-Mails befinden sich nur noch auf der CD, die in dem Buch Die Erlebnisse eines Irrenarztes von Littleton Winslow versteckt sind. Ich sammle alte Bücher und Dokumente.«
Scarpetta fotografierte die Abschürfungen und Kratzspuren von Fingernägeln, die sich alle an der rechten unteren Seite seines Rückens befanden.
»Hauptsächlich Werke, die sich mit der Psychiatrie und verwandten Sachgebieten beschäftigen«, sagte er. »Es sind ziemlich viele, auch einige über das Bellevue. Ich weiß mehr über dieses Krankenhaus als die Leute, die hier arbeiten. Für Sie und Ihren Mann wäre meine Sammlung über das Bellevue sicher sehr interessant. Vielleicht zeige ich sie Ihnen einmal. Sie können sie sich auch gern ausleihen. Terri findet die Geschichte der Psychiatrie sehr fesselnd. Menschen faszinieren sie. Andere Menschen und ihre Beweggründe sind ihr wichtig. Sie sagt, sie könnte den ganzen Tag auf einem Flughafen oder in einem Park sitzen und die Leute beobachten. Warum tragen Sie Handschuhe? Achondroplasie ist nicht ansteckend.«
»Zu Ihrem Schutz.«
Das stimmte nur zum Teil. Sie brauchte diese Barriere aus Latex zwischen seiner Haut und ihrer. Er hatte ohnehin eine Grenze überschritten. Und zwar schon vor ihrer ersten Begegnung.
»Sie wissen, wo ich hingehe, wo ich gerade herkomme und wo ich wohne«, meinte er. »Aber Terris Wohnung kennen sie nicht. Das Backsteingebäude in Murray Hill. Ich hatte nie Grund zu glauben, dass sie über ihre Existenz im Bilde sind. Wenn sie mir mitgeteilt haben, wo ich an einem bestimmten Tag gewesen bin, erwähnten sie nie Terris Wohnung. Warum nicht? Schließlich fahre ich jeden Samstag hin.« »Immer um dieselbe Zeit?« »Um fünf.«
»Wo in Murray Hill?«
»Nicht weit von hier. Es ist zu Fuß zu erreichen. In der Nähe des Loews Theater. Wenn wir uns einmal etwas gönnen wollen, gehen wir gelegentlich ins Kino und essen Hot Dogs und mit Käse überbackene Pommes.«
Sein Rücken bebte, als sie ihn berührte. Trauer stieg in ihm hoch.
»Wir achten nämlich beide sehr auf unser Gewicht«, fuhr er fort. »Es gab nie irgendeinen Hinweis, dass sie mir nach Murray Hill oder sonst irgendwohin folgten, wenn wir zusammen waren. Ich ahnte nichts davon, denn sonst hätte ich etwas unternommen, um sie zu beschützen. Ich hätte sie nie allein wohnen lassen. Vielleicht hätte ich sie überreden können, die Stadt zu verlassen. Ich war es nicht. Ich hätte ihr nie etwas antun können. Sie ist die Liebe meines Lebens.«
»Ich hätte da noch eine Frage.« Berger wandte Benton ihr kluges, hübsches Gesicht zu und musterte ihn forschend. »Wenn Kay Lucys Tante ist, bist du dann Lucys Onkel? Bist du ein richtiger Onkel oder nur ein Beinahe-Onkel? Nennt sie dich Onkel Benton?«
»Lucy hört weder auf ihren Beinahe-Onkel noch auf ihre Tante. Ich hoffe, dass sie wenigstens auf dich hört.« Benton wusste genau, worauf Berger hinauswollte.
Sie plante, ihn so lange zu provozieren, bis er diese verdammte Klatschkolumne ansprach, ein Geständnis ablegte und sich der Gnade ihres Gerichtshofs unterwarf. Allerdings war Benton fest entschlossen, ihr keine Munition zu liefern, denn er hatte sich schließlich nichts zuschulden kommen lassen. Wenn der richtige Zeitpunkt gekommen war, würde er keine Mühe haben, sich zu verteidigen. Er konnte sein Schweigen erklären und es damit rechtfertigen, dass Marino im Sinne des Gesetzes keiner Straftat beschuldigt worden sei und dass er, Benton, nicht das Recht gehabt habe, Scarpettas Privatsphäre zu verletzen.
»Hat Lucy die Laptops?«, erkundigte er sich.
»Noch nicht.
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