Kay Scarpetta 16: Scarpetta
Aufenthaltsdauer knappe drei Wochen betrug. Deshalb kam es nicht selten vor, dass Benton einen Patienten im Bellevue untersuchte und dieselbe Person einen Monat später auf der Straße dabei beobachtete, wie sie einen Mülleimer nach etwas Essbarem durchwühlte.
Er nahm Scarpetta den Tatortkoffer ab. Sie hielt die Beutel mit den Beweisstücken in der Hand und sagte, dass sie zur Polizei gebracht werden müssten.
»Ich lasse jemanden in mein Büro kommen, bevor wir gehen«, erwiderte Benton.
»Die Sachen müssen sofort ins Labor. Sie sollen Oscar Banes DNA analysieren und sie so schnell wie möglich in die Datenbank eingeben.«
»Ich rufe Berger an.«
Sie gingen den Flur entlang. Zwei Wäschewagen rollten, laut ratternd wie ein Güterzug, an ihnen vorbei. Eine Tür knallte zu, und sie kamen an Zellen vorbei, die verhältnismäßig groß für ein Gefängnis gewesen wären, hätte man nicht sechs Betten hineingestopft. Die meisten Männer trugen schlechtsitzende Pyjamas, saßen aufrecht da und unterhielten sich lautstark. Einige betrachteten durch die mit Maschendraht versehenen Fenster den dunklen East River, während andere durch die Gitterstäbe den Flur beobachteten. Einer hielt den Zeitpunkt für geeignet, um die Toilette aus Edelstahl zu benutzen, grinste Scarpetta beim Pinkeln zu und schlug ihr vor, doch etwas über ihn im Fernsehen zu bringen. Daraufhin brach unter seinen Zellengenossen eine Debatte los, wer von ihnen wohl die beste Figur vor der Kamera machen würde.
Benton und Scarpetta blieben an der ersten Schleuse stehen, die sich nie schnell genug öffnete. Der Wachmann im Kontrollraum auf der anderen Seite wurde vom Öffnen und Schließen der Türen völlig in Anspruch genommen. Nachdem Benton laut ihre Absicht angekündigt hatte, die Station zu verlassen, warteten sie. Während er noch einmal rief, kam ein Mann in Sicht, der den Flur vor dem Aufenthaltsraum wischte. Der Raum war mit Tischen, Stühlen, einigen Brettspielen und einem alten Heimtrainer ohne abnehmbare Teile ausgestattet.
Dahinter befanden sich die Verhörräume, die Zimmer für die Gruppentherapie und eine Bibliothek mit juristischen Nachschlagewerken. Dort standen auch zwei Schreibmaschinen, die wie die Fernseher und Wanduhren von Plastikgehäusen geschützt wurden, um zu verhindern, dass die Patienten etwas abschraubten, das sich als Waffe verwenden ließ. Scarpetta war bei ihrer ersten Konsultation herumgeführt worden und ziemlich sicher, dass sich seitdem nichts verändert hatte.
Endlich schwang die weißlackierte Stahltür auf und knallte hinter ihnen wieder zu, während sich eine zweite öffnete, um sie hinauszulassen. Der Wachmann im Kontrollraum gab Scarpetta im Austausch für den Besucherausweis ihren Führerschein zurück. Die Transaktion erfolgte wortlos und durch dicke Gitterstäbe. In diesem Moment führten zwei Polizisten einen neuen Patienten herein, der den grell orangefarbenen Overall des Gefängnisses Rikers Island trug. Häftlinge wie er waren nur vorübergehend zur ärztlichen Behandlung hier. Scarpetta würde wohl nie begreifen, was Sträflinge sich alles antaten, um sich krank zu stellen und sich so einen Kurzaufenthalt im Bellevue zu sichern.
»Einer unserer Stammgäste«, meinte Benton, als die Stahltür zufiel. »Er schluckt Gegenstände. Beim letzten Mal waren es Batterien. Micro- oder Mignonzellen, ich weiß es nicht mehr. Etwa acht Stück. Davor hat er es mit Steinen und Schrauben versucht. Einmal war es Zahnpasta - samt Tube.«
Scarpetta fühlte sich, als trennte sich ihr Geist vom Körper wie das herausnehmbare Futter eines Mantels. Sie musste sich verstellen und durfte sich keine Gefühle anmerken lassen und weder über Oscar Bane noch über irgendetwas sprechen, das er ihr von sich und Terri erzählt hatte. Bentons professionelle Distanz, die sich im Gefängnistrakt am stärksten zeigte, löste ein Frösteln in ihr aus. Hier entwickelte er Ängste, die er ihr jedoch verschwieg. Allerdings brauchte er nichts zu sagen, weil sie ihn zu gut kannte. Seit Marinos betrunkenem Übergriff auf sie litt Benton an einer stillen und ständigen Panik, zu der er aber nicht stand. Für ihn war jeder Mann ein potenzielles Ungeheuer, das sie in seine Höhle verschleppen wollte, und bis jetzt war es ihr nicht gelungen, ihm das auszureden.
»Ich werde bei CNN aufhören«, verkündete sie auf dem Weg zu seinem Büro.
»Ich verstehe, in welche Lage Oscar Bane dich gebracht hat«,
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