Kay Scarpetta 16: Scarpetta
über sie berichtet«, sagte er. »Und zwar nichts Gutes. Das erzähle ich Ihnen nur, weil Sie es ohnehin erfahren werden.«
»Sie sind doch der Bursche, der in Charleston mit ihr zusammengearbeitet hat«, antwortete Bacardi nach einer langen Pause. »Es kam heute Morgen in den Nachrichten. Ich habe es im Radio gehört.«
Marino hatte nie gedacht, dass diese Klatschgeschichte aus dem Internet in die Nachrichten gelangen könnte. Er fühlte sich wie nach einem Schlag in die Magengrube.
»Es wurden keine Namen genannt«, fuhr Bacardi fort und klang auf einmal gar nicht mehr so freundlich. »Es hieß nur, sie sei angeblich von einem Kollegen angegriffen worden, als sie dort Gerichtsmedizinerin war. Von einem Ermittler, mit dem sie viele Jahre lang zusammengearbeitet hatte. Alle Sensationsreporter haben die Sache breitgetreten, den typischen Unsinn geschwafelt, sie lächerlich gemacht und sich in den wüstesten Spekulationen ergangen, was er ihr wohl angetan haben mag. Ich fand es ziemlich abstoßend.«
»Falls Sie noch immer Lust haben, sich mit mir zu treffen, erzähle ich Ihnen die ganze Geschichte«, hörte er sich zu seiner Überraschung sagen.
Er hatte nämlich noch nie mit jemandem darüber gesprochen. Nur mit Nancy. Sie hatte seiner Schilderung dessen, woran er sich noch erinnerte, mit dem aufmerksamen Gesichtsausdruck gelauscht, den er mit der Zeit zu hassen gelernt hatte.
»Sie sind mir keine Erklärung schuldig«, entgegnete Bacardi. »Ich kenne Sie nicht, Pete, und weiß nur, dass die Leute alles Mögliche daherreden. Man findet erst heraus, was wahr ist, wenn man sich das zu seiner Aufgabe macht. Und es ist nicht meine Aufgabe, die Wahrheit über Ihr Leben in Erfahrung zu bringen, okay? Mich interessiert nur, was mit meiner Toten, dem Jungen in Greenwich und Ihrer Ermordeten in New York passiert ist. Ich schicke Ihnen die Unterlagen, die ich habe, per E-Mail. Wenn Sie das alles durchackern wollen, sollten Sie sich mit einer Kiste Kopfschmerztabletten eine Woche lang in ein Zimmer einschließen.«
»Ich habe gehört, dass in Ihrem Fall und bei dem Jungen keine DNA entdeckt wurde«, sagte Marino. »Keine Anzeichen für sexuelle Gewalt.«
»Eine Art Multiple-Choice-Albtraum.«
»Vielleicht erkläre ich es Ihnen bei ein paar Krabbenkuchen in Baltimore«, erwiderte er. »Ziehen Sie keine voreiligen Schlüsse aus Gerüchten. Oder Sie kommen hierher. Mögen Sie Steakhäuser?«
Sie antwortete nicht.
Marino fühlte sich so niedergeschlagen, als hätte ihm jemand einen Mühlstein umgehängt. Er war am Ende. Der Dreckskerl von Gotham Gotcha hatte sein Leben ruiniert. Da hatte er soeben eine sympathische Frau kennen gelernt, die noch dazu hieß wie sein Lieblingsrum, und nun verhielt sie sich, als ob er die Pocken hätte und beim Sprechen spuckte.
»Sie wissen schon, diese grässlichen Protokollformulare«, sagte Bacardi. »Kreuzen Sie das richtige Kästchen an. Multiple Choice, wie damals in der Schule. Und was, wenn es mehr als eine richtige Antwort gibt? Eigentlich keine Anzeichen für einen sexuellen Übergriff, nur dass in beiden Fällen Spuren eines Gleitmittels gefunden wurden. Eine vaselineähnliche Substanz, aber kein Sperma. Vaginal bei meinem Opfer, anal bei dem Jungen in Greenwich. Dazu ein total kontaminierter DNA-Mix. Keine Treffer in CODIS. Wir dachten, weil die beiden nackt und im Freien entdeckt wurden, sei vermutlich alles Mögliche an der Vaseline, wenn es denn welche war, haften geblieben. In einem Müllcontainer haben Sie es, wie Sie sich sicher vorstellen können, mit der DNA der verschiedensten Leute zu tun. Außerdem noch mit Katzen- und Hundehaaren.«
»Interessant«, sagte Marino. »Denn in unserem Fall ist die DNA ebenfalls völlig durcheinander. Es war die von einer alten Frau im Rollstuhl dabei, die in Palm Beach einen Jungen totgefahren hat.«
»Mit dem Rollstuhl? War sie zu schnell und hat mit ihrem Rollstuhl nicht an der roten Ampel gehalten? Entschuldigung, aber bin ich gerade im falschen Film?«
»Was außerdem interessant ist«, fuhr Marino fort und ging mit dem schnurlosen Telefon in Richtung Bad, »ist die Tatsache, dass die DNA von Ihren Fällen inzwischen in CODIS abgespeichert sind, während die DNA in unserem Fall gerade mit CODIS abgeglichen wurde. Verstehen Sie, was ich meine?«
Beim Pinkeln hielt er die Hand vor die Sprechmuschel. »Das mit dem Rollstuhl kapiere ich immer noch nicht«, sagte Bacardi.
»Es bedeutet«,
Weitere Kostenlose Bücher